Organisations- und Prozessmanagement

Industrie 4.0 – spielerisch angehen. Transparenz, Spielregeln, Kunst der Zusammenarbeit.

Auf der diesjährigen Hannover Messe war Industrie 4.0 zu besichtigen. Teilautomatisierte Prozesse, Sensoren überall, dazwischen Schnittstellen-Module für die smarte Vernetzung. Die Digitale Fabrik funktioniert, aber nur, wenn ihre unsichtbaren Regelungs-Algorithmen in Takt sind. Wer hier die Grundlagen beherrscht, hat gute Chancen, nicht nur einen Show-Case zu schaffen, sondern Fortschritt zu realisieren. Digital-Technik ist also nicht alles. Warum die Sache nicht einfach spielerisch angehen und dort beginnen, wo der Schuh schon heute drückt. Am Beispiel Produktion und Auftragssteuerung lässt sich gut verdeutlichen, worum es gehen könnte.  

Industrie 4.0 ist eine Einladung, die Zukunft zu gestalten, auch für Unternehmen, die nicht über genügend eigene (Software-)Experten verfügen. Das kann durchaus klein beginnen – zumal manche Organisation zunächst mal die Schritte 1.0 bis 3.0 abarbeiten sollte. Ansatzpunkte aus Produzentensicht:


Interne Auftragssteuerung:

  • „Schnelligkeit und Flexibilität basieren ausschließlich auf transparenten (automatisierbaren) Spielregeln.“
    Jeder Auftrag und jeder Produktionsschritt beinhaltet Informationen, die zur Steuerung der Bearbeitung und des Auftragsflusses dienen. Entscheidend für kundenbezogene, schnelle Regelkreise sind die Steuerungslogik (z.B. Conwip), Transparenz (Wie hoch ist der aktuelle Durchsatz? Wo ist die nächste freie Bearbeitungsstation? ...), Regeln (Wann dürfen sich Aufträge überholen? ...) und Entscheidungen in Echtzeit (Welcher Auftrag soll zuerst bearbeitet werden? Wie werden Auftragsstaus im Durchlauf vermieden? ...). Fragen, die auch heute schon nach Lösungen verlangen.

Planungsentscheidungen:

  • „Disposition und Beschaffung stützen sich auf eine Vielzahl von Informationsquellen.“
    Kunden Forecasts sind eine gute Sache, stoßen aber an Grenzen. Manchmal weiß das eigene Unternehmen besser, was und wie viel der Kunde wann benötigt. Die Quellen sind vielfältig: von Vergangenheitsdaten über Endkunden Trends oder Rohstoffmärkte bis zum Wetter. Die Frage ist, wo lohnt es sich in „Big Data“ Auswertungen zu investieren.

Kunden-Lieferanten-Verhältnisse in einer Industrie 4.0 Welt:

  • „Lieferketten bestehen aus vielen „virtuellen Fabriken“.“

    Trotz strategischer Partnerschaft, werden Lieferprozesse der Zulieferer zunehmend fremdgesteuert. Der Kundenauftrag läuft in dessen „eigener virtuellen Fabrik“ beim Lieferanten; er landet direkt in der Vorfertigungs- oder Montageeinheit und sucht sich seinen Weg bis zur termingerechten Auslieferung. Das lässt sich nur verträglich gestalten, wenn zwischen Kunde und Lieferant Spielregeln vereinbart sind, die auch im Konfliktfall mit Aufträgen anderer „autonomer“ Kunden funktionieren. Lieferanten sollten also bestrebt sein, die Hoheit über diese Spielregeln zu behalten.


Produktlieferant – Hersteller:

  • „Produktlieferanten gewinnen neue Optionen, Herstellungsprozesse zu konfigurieren.“
    Hier die umgekehrte Sicht. Die Grenzen von In- und Outsourcing werden verschwimmen. Wer die Produkthoheit hat, sucht sich die erforderlichen Herstellungskompetenzen immer wieder neu zusammen, beispielsweise für Europa in Europa, für Asien in Asien. Langfristige Kooperationen bleiben dort bestehen, wo handfeste Know-how Vorteile geschützt werden sollen oder sehr spezifische Fertigungsverfahren nötig sind. Im Extremfall werden Lieferketten sehr kurzfristig gebildet, beispielsweise um einen besonders großen Auftrag abzuwickeln oder um trotz niedrigem Verkaufspreis eine auskömmliche Marge zu realisieren.


Unternehmerische Eigenständigkeit:

  • „Wer die Steuerungskompetenz hat gibt den Takt vor.“

    Wo heute die Technologie ausschlaggebend ist, wird es morgen eher die Agilität sein. Wer als Systemintegrator die erforderlichen Kompetenzen schnell bündeln kann, gewinnt den Auftrag. Produkt und Dienstleistung gehen zusammen.

 

Heute anfangen
Die Industrie 4.0 Revolution fällt aus. Die Dinge entwickeln sich Schritt für Schritt. Das Schwierigste daran ist der Umgang mit den zu erwartenden Veränderungen. Fangen Sie einfach an, wenn sie nicht ohnehin schon mitten drin sind. Beispielsweise so:

  • Prozesse beherrschen und regeln.
    Gute regelbasierte Entscheidungsprozesse, beispielsweise welcher Auftrag soll wo als nächstes bearbeitet werden, können nur getroffen werden, wenn die Eigenheiten der Prozesse verstanden, Prozesszustände transparent und Vorfahrtsregeln für Aufträge klar sind. Umgekehrt bedeutet das Verzicht auf willkürliche Eingriffe in die Steuerung oder ad-hoc Improvisation. Der allererste Schritt jedoch besteht darin, Prozesse robust, also wenig störanfällig zu gestalten.
  • Schnelle, flexible Herstellung kleinster Stückzahlen.
    „Optimale Losgrößen“ sind eine Denkblockade. Wer von Spezialitäten und kurzen Reaktionszeiten lebt, muss auch heute schon die entsprechenden Fähigkeiten zur bestandsarmen Fertigung in Kleinststückzahlen erwerben. Am besten bevor die Technik es irgendwann auch dem Durchschnittsproduzenten erlaubt.
  • Offenheit statt Abschottung.
    Kooperationen scheitern selten an der Technik. Die Währung in der Zusammenarbeit ist Vertrauen. Althergebrachte Grenzen werden durchlässig, wenn Kunde und Lieferant gezielte Experimente wagen und sich gegenseitig in Echtzeit in die Karten schauen lassen; ein Einstieg sind beispielsweise Vendor-Managed-Inventory (VMI) Lösungen. Im Übrigen gibt es firmenintern meist noch genügend Gelegenheiten zum Üben, beispielsweise im Verhältnis zu Nachbarabteilungen oder zu Tochterunternehmen.
  • Perspektive Industrie 4.0
    Es lohnt sich, eigene Industrie 4.0 Szenarien der Zukunft zu entwickeln und mit kleinen Projekten erste Veränderungen zu bewirken. Was die technische Seite angeht, bieten sich zwei Experimentierfelder an: Daten, die ohnehin in der IT stecken, besser zur Entscheidungsfindung zu nutzen (Big Data/Smart Data) sowie die richtigen Daten auf dem Shop Floor zu erfassen und in Echtzeit auszuwerten (Schnittstellen-Module).

 

Fazit:

Spielerisch anfangen, dort wo es heute schon drückt, nächsten Zielzustand skizzieren, begrenzte Investitionen ohne „es-muss-sich-rechnen“-Blockaden, 70%-Lösungen genügen vollkommen, erste Erfolge feiern.

Auch schadet ein Blick über den Tellerrand nicht, beispielsweise auf die Frage „Wem gehört die Zukunft?“ – siehe das gleichnamige Buch zur (humanen) Internet-Ökonomie von Jaron Lanier, dem letztjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. Sicher ist, da rollt kein Naturgesetz auf uns zu, sondern ein von Menschen gestaltbares Morgen. Die Chance sollten Sie sich nicht entgehen lassen. Ohne die Kunst der Zusammenarbeit zu üben, intern und mit externen Partnern, findet Industrie 4.0 mit ihrem Unternehmen nicht statt. Wäre schade!



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