Gründung und Nachfolge

Unternehmensbewertung und -transaktionen unter COVID-19 Bedingungen

Die COVID-19 Krise beherrscht unser Leben nunmehr seit über einem Jahr. Sie ist geprägt von Veränderung, Verunsicherung und Kurskorrekturen. Obgleich sie das Potenzial hat, eine weltweite Wirtschaftskrise auszulösen, scheinen die Kapitalmärkte immer noch weitgehend unbeeindruckt. Einzelne Branchen boomen geradezu, während andere von echten Existenzängsten geprägt sind.

Nicht nur die politischen Maßnahmen und Rahmenbedingungen, sondern auch Verhaltensweisen der Menschen haben sich verändert. Das hat Einfluss auf Produktions- und Lieferketten und damit in Verbindung stehende Zahlungsströme und letztlich auf Finanzkennzahlen von Unternehmen.

 

Der Verlauf der COVID-19 Pandemie und die daraus resultierenden Folgewirkungen sind auch nach über zwölf Monaten immer noch schwer abschätzbar. Vorhersagen, die noch vor Wochen und Monaten getroffen wurden, können in kurzer Zeit wieder überholt sein und erhöhen damit die Unsicherheit in der Planung.

 

Im Rahmen von Planungsrechnungen oder Annahmen, die für eine Unternehmensbewertung zu treffen sind, führt dies zu besonderen Herausforderungen. Der Unternehmenswert basiert auf der Prognose zukünftiger Zahlungsströme und stellt somit eine Ermittlung eines Zukunftserfolgswertes dar, der intersubjektiv nachprüfbar ist.1 Für den Unternehmensbewerter stellt sich aktuell die Frage, wie vor dem Hintergrund der Krise mit der Prognose zukünftiger Zahlungsströme und deren Auswirkung auf die Kapitalkosten umzugehen ist.

 

Was ist der wahre Wert eines Unternehmens unter den derzeitigen Rahmenbedingungen? Welche Rolle spielt die aktuelle COVID-19-Krise bei der Durchführung einer Unternehmensbewertung? Wie sollte man aktuell mit wichtigen unternehmerischen Entscheidungen z.B. dem Verkauf des Unternehmens umgehen?

 

Anlässe für Unternehmensbewertungen durch nicht geregelte Nachfolge weiter zahlreich

Laut DIHK gewinnt das Thema der nicht geregelten Unternehmensnachfolge auch 2020/21 weiter an Brisanz.2 Die COVID-19 Krise führt aber zu Verunsicherung, Prioritätenverschiebung und Aufschub des Themas auf Unternehmerseite, wodurch sich die Fälle nicht geregelter Nachfolgen weiter erhöhen. Gleichzeitig ist - aufgrund der Situation auf den Kapital- und Arbeitsmärkten - eine deutliche Zunahme potenzieller Unternehmenskäufer zu verzeichnen. Wer nun als Unternehmer antizyklisch agiert, kann in der aktuellen Krise die Chance nutzen, interessante Optionen für die Regelung der eigenen Nachfolge zu erhalten. Nicht selten ergibt sich derzeit die Möglichkeit, auch KMUs im Rahmen eines Bieterverfahrens erfolgreich zu veräußern. Eine wesentliche Voraussetzung, um dieses Ziel zu erreichen, ist eine solide, objektivierte Unternehmensbewertung, welche die aktuellen Rahmenbedingungen unter COVID-19 würdigt und deren Effekte nachvollziehbar macht.

 

COVID-19 Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung

Vergleicht man die COVID-19 Pandemie mit anderen Krisen, so steht fest, dass sich die Folgen auch bei dieser Krise mit hoher Wahrscheinlichkeit abschwächen werden. Bei langfristig orientierten Bewertungsverfahren - wie dem Ertragswertverfahren - werden sich die negativen Auswirkungen der Pandemie daher relativieren.3 Kurzfristig aber kann die Pandemie je nach Branche und Geschäftsmodell einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Unternehmens haben, die in extremen Fällen dazu führt, dass der Liquidationswert anzusetzen ist.

 

Insofern muss bei der Durchführung einer Unternehmensbewertung "in COVID-19 Zeiten" zunächst überprüft werden, inwiefern und zu welchem Zeitpunkt der Betrieb von den Auswirkungen der Pandemie betroffen ist und damit als "Krisenunternehmen" einzustufen ist.4

 

Die Erkennbarkeit der Auswirkungen von COVID-19 zum jeweiligen Stichtag ist durch den Bewerter einzelfallspezifisch zu beurteilen. Dabei sind auf Anknüpfungstatsachen wie das konkrete Geschäftsmodell, den Wirkungskreis und den Standort des zu bewertenden Unternehmens Bezug zu nehmen. Im Falle des von der Krise betroffenen Unternehmens ergibt sich der Effekt auf den Unternehmenswert dann nach IDW vor allem über die Anpassung der Zahlungsströme in der Zukunft.5 Aber führt das wahrgenommene Risiko, die Unsicherheit am Markt auch dazu, dass Investoren Risikoprämien verlangen und diese möglicherweise auch Auswirkungen auf den Kapitalisierungszinssatz im Rahmen einer Unternehmensbewertung haben?

 

Szenarien bei der Planung zukünftiger Zahlungsströme

Risiken sind im Rahmen der Unternehmensbewertung meist im Zähler (Umsatzplanung) und im Nenner (Kapitalisierungsfaktor) zu berücksichtigen. Dem Unternehmensbewerter wird zunächst empfohlen, bei der Entwicklung von Planzahlen mehrere Szenarien zu berücksichtigen und diese nach ihrer Intensität und Dauer zu entwickeln. Anstatt aller denkbaren Szenarien sollten aber idealerweise nicht mehr als drei Szenarien ermittelt werden. Folgt man dem IDW, so wurden bis vor kurzem noch drei Szenarien bezüglich des weiteren Verlaufs der Pandemie diskutiert: Eine unmittelbare Erholung ("V-förmiger Verlauf"), eine verzögerte Erholung ("U-förmiger Verlauf") oder eine langfristig negative Entwicklung ("L-förmiger Verlauf").6

 

Bezüglich des Eintritts dieser drei Szenarien erscheint derzeit aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums aber gleichzeitig vorhandenen Impfstoffs ein U-förmiger Verlauf als vergleichsweise wahrscheinlich. Allerdings muss besonders herausgestellt werden, dass die Folgen der Krise unternehmensindividuell nach Branche, Märkten und Geschäftsmodell zu beleuchten und in der Unternehmensplanung bzw. den jeweiligen Szenarien zu berücksichtigen sind. Staatliche Zuschüsse und Unterstützungsleistungen sind als Sondereffekt in den jeweiligen Jahren der Planung anzusetzen.7 Ist eine Branche wie z.B. der Einzelhandel möglicherweise auch langfristig von Folgewirkungen der Krise betroffen, weil sich beispielsweise eine grundsätzliche Veränderung im Konsumverhalten und den Absatzkanälen ergibt, so sind diese Effekte ebenfalls einzelfallbezogen zu analysieren und einzuplanen.8

 

Obgleich viele kleine und mittlere Unternehmen noch immer keine standardisierte Unternehmensplanung durchführen, sollte gerade jetzt hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dies gilt besonders bei einer anstehenden Unternehmensnachfolge oder dem geplanten Verkauf des Unternehmens.

 

Kapitalkosten kritisch analysieren

Der Diskontierungsfaktor (Nenner), mit dem die zukünftigen Gewinne des Unternehmens auf den Bewertungsstichtag abgezinst werden, sollte nach unserem Dafürhalten krisenbezogen untersucht werden. Bei der Ermittlung der Kapitalkosten stellt sich die Frage, ob sich die mit der Pandemie einhergehenden Unsicherheiten in erhöhten Renditeforderungen von Eigen- und Fremdkapitalgebern niedergeschlagen haben. Dies ist bisher aber nicht über einen längeren Zeitraum erkennbar. Das IDW weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Rahmen von langfristigen Zukunftserfolgswertverfahren (Ertragswertverfahren) Kapitalmarktdaten auch in Krisenzeiten an langfristigen Analysen von Renditen zu beurteilen sind. Kurzfristige Ausschläge und mögliche Übertreibungen der Kapitalmärkte sind  als momentane und nicht zwingend langfristige Stimmungsindikatoren einzuordnen. Daher stellt das IDW fest, dass sich der Kapitalisierungszins auch in einer Krise weiterhin an langfristigen Analysen von Renditen orientiert, die in einer Größenordnung von 7,0% bis 9,0% (nach Unternehmenssteuern und vor persönlichen Steuern) beobachtet werden. Die Marktrisikoprämie sieht das IDW derzeit weiterhin in einer Größenordnung von 6,0% bis 8,0% (ebenfalls nach Unternehmenssteuern und vor persönlichen Steuern). Im Ergebnis sieht das IDW daher keine Notwendigkeit, die bisherige Methodik zur Ermittlung der Kapitalkosten anzupassen.9 Hier ist kritisch anzumerken, dass - wenn man grundsätzlich der Auffassung ist, dass die Unsicherheit zugenommen hat - man dies eigentlich auch in den Risikoprämien des Ertragswertverfahrens berücksichtigen müsste, solange man an den üblichen Vorgaben der Methode festhalten will. Daher müsste, wenn auch empirisch schwer nachweisbar, das Aufdecken von Risiken (wie eine bisher nicht in der Form vorhandene Pandemie) die Risikowahrnehmung und damit die Risikokosten erhöhen.10

 

Insbesondere eine mit der Krise einhergehende veränderte Verschuldungssituation des Unternehmens muss sich im Kapitalisierungszinssatz über den Beta-Faktor widerspiegeln. Risikozuschläge auf den Kapitalisierungszinssatz sind nach Auffassung des IDW allerdings derzeit zu verneinen.11

 

Gerade im Hinblick auf die Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen sind vom Bewerter Besonderheiten und Risiken grundsätzlich zu würdigen, z.B. die Abhängigkeit vom Inhaber, von einem großen Kunden oder Lieferanten sowie  die Verzahnung mit  der Privatsphäre des Eigentümers oder ein besonderes Standortrisiko.12 Diese sind in der Bewertung über die Planung der Zahlungsströme (Zähler) und die Verkürzung des Ergebniszeitraums nachvollziehbar zu begründen.13 Mit der aktuellen Pandemiesituation kommt nun eine weitere Herausforderung hinzu, die je nach Situation, in der sich das Unternehmen befindet, einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die zukünftigen Zahlungsströme und den Unternehmenswert haben wird.

 

Fazit und Handlungsempfehlung

Insgesamt sorgen die mit COVID-19 einhergehenden Effekte zunächst für große Unsicherheiten bei der Bewertung der zukünftigen Entwicklung der Unternehmen. Dies erschwert für den Bewerter die Prognose zukünftiger Gewinne und die Anwendung der bekannten ertragswertbasierten Methoden. Dem ist in erster Linie mit entsprechenden Planungsszenarien zu begegnen. Die Risikoadjustierung im Kapitalisierungszinssatz sollte in Einzelfällen geprüft werden.

 

Da die Unternehmensbewertung und eine damit verbundene Kaufpreisfindung immer eine Langfristbetrachtung sind, wird das Thema COVID-19 jetzt und auch noch in mehreren Jahren nur ein Teil des Unternehmenswertes sein. Die besondere Situation kann methodisch fallbezogen zu geringeren Unternehmenswerten führen - dies aber in den meisten Fällen nicht in der Form, dass der Unternehmenswert kurzfristig stark nach unten schwankt. Es gilt, sich anlassbezogen bei der Planung zu positionieren und die unterschiedlichen Einflüsse auf den einzelnen Bewertungsfall nachvollziehbar in der Bewertung zu berücksichtigen.

 

Bei einem Unternehmensverkauf kann die Unsicherheit in bestimmten Fällen vermehrt in variable Kaufpreisanteile (Earn-out Strukturen) oder Abschläge auf den Basiskaufpreis münden. Gleichzeitig bietet sich aber durch eine Vielzahl potenzieller Unternehmenskäufer auf dem Markt  derzeit  eine  sehr  gute  Chance, sein Unternehmen zu fairen und angemessenen Konditionen zu veräußern.

Es empfiehlt sich grundsätzlich auch in der jetzigen Zeit, wichtige unternehmerische Entscheidungen wie z.B. die eigene Unternehmensnachfolge nicht aufzuschieben.

 

Zur Person Stefan Butz:

Der Diplom-Kaufmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Butz Consult GmbH mit Hauptsitz in Krefeld. Er verfügt über eine langjährige Expertise als Gutachter und Berater in Nachfolge- und Veränderungssituationen. Stefan Butz ist von der IHK öffentlich bestellt und vereidigt für Wirtschaftslichkeitsanalysen und Unternehmensbewertung von kleinen und mittleren Unternehmen.

www.butz-consult.de | www.butz-expert.de

 


1 IDW S 1i.d.F. 2008,TZ 29.

 

2 DIHK-Report Unternehmensnachfolge 2020.

 

3 Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.

 

4 Fachliche Hinweise der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) auf Unternehmensbewertungen (beschlossen vom Präsidium der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer am 15. April 2020,TZ 5.

 

5 Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.

 

6 Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.

 

7 Barti/Patloch-Kofler/Schmitzer, Auswirkungen der COVID-19 Krise auf die Unternehmensbewertung, RWZ 4/2020,LexisNexis.

 

8 Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.

 

9 Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.

 

10 Kritik der Bewertungspraktiker z.B. https://covendit.de/2020/09/30/der-einfluss-der-corona-krise-auf­-kapitalkosten-zur-unternehmenswertermittlung/

 

11 Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.

 

12 BVS Standpunkt Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 11-2017, TZ 3.4.

 

13 BVS Standpunkt Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 11-2017, TZ 5.4.2.