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Interview mit dem neuen CDU Generalsekretär Carsten Linnemann

Interview mit dem neuen CDU Generalsekretär Carsten Linnemann

Wir freuen uns, mit dem neuen Generalsekretär der CDU Deutschlands über das neue Grundsatzprogramm der CDU sprechen zu können. Und auch: inwiefern können Consultants vom prozessualen Vorgehen der CDU lernen?

 

 

Ralf Strehlau: Lieber Herr Linnemann, Sie sind gerade vom Bundesvorstand der CDU Deutschlands einstimmig als Generalsekretär gewählt worden. Was für ein herausragendes Ergebnis! Dazu gratuliere ich Ihnen im Namen des BDU sehr herzlich und wünsche Ihnen eine gute Hand, Erfolg und Fortune in dieser neuen Position! Sie haben große Vorgängerinnen und Vorgänger. Welche Person in dieser beeindruckenden Reihe inspiriert Sie am meisten?

 

Carsten Linnemann: Fragen Sie mich gerne in einem Jahr noch einmal. Jetzt muss ich mich erst einmal an die Arbeit machen.

 

 

Ralf Strehlau: Sie sagten kürzlich in der Welt, dass Sie in einem Land leben möchten, in dem wir die Menschen so nehmen, wie sie sind und nicht, wie sie sein sollten. Das gefällt mir. Was bedeutet das konkret für das Politikangebot der CDU?

 

Carsten Linnemann: Im Mittelpunkt unserer Politik steht immer der Mensch als Individuum, nicht das Kollektiv. Der Staat ist für den Menschen da, nicht umgekehrt. Diese Sichtweise resultiert aus unserem christlichen Menschenbild, wonach jeder Mensch einzigartig und unverfügbar ist. Jedem ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, das ist unser Ziel. Individuelle Freiheit ist jedoch kein Selbstzweck, sondern geht stets mit Verantwortung für andere einher. Daraus folgt für unsere Politik, dass für Bevormundung, immer neue Verbote und einen wuchernden Regulierungsstaat kein Platz ist. Identitäre Sichtweisen, die unser Land in feindliche Gruppen unterteilen und das Kollektiv über das Individuum stellen, lehnen wir ab. Denn in den USA ist bereits zu beobachten, wohin aggressive Grabenkämpfe linker und rechter Identitätspolitiker führen: zu einer tief gespaltenen Gesellschaft.

 

 

Ralf Strehlau: Sie sind gerade dabei, das Grundsatzprogramm der CDU neu zu formulieren. Warum ist dies notwendig geworden und warum zu diesem Zeitpunkt?

 

Carsten Linnemann: Es ist offenkundig, dass wir die letzte Bundestagswahl vor allen Dingen deshalb verloren haben, weil wir nicht mehr gut genug waren. Und das bezog sich auch auf die inhaltlichen Ausarbeitungen der CDU. Wir waren inhaltlich zum Teil stark entkernt. Und um diesen Kern in der Opposition wieder neu aufzubauen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt.

 

 

Ralf Strehlau: Und um damit wieder Vertrauen aufzubauen. Die CDU erschien in den vergangenen Jahren oft nicht wie aus einem Hause – der Grundsatzprogrammprozess dient sicherlich auch dem Ziel, sich über die Verständigung gemeinsamer Ziele und Grundwerte als Partei zu einen und Geschlossenheit herzustellen?

 

Carsten Linnemann: Natürlich! Wir möchten eine neue Aufbruchsstimmung verbreiten, davon lassen wir uns im Grundsatzprogramm leiten. Uns alle eint doch das Ziel, Positionen zu entwickeln, die Lust auf Zukunft machen, die Optimismus und Zuversicht ausstrahlen. Mit einer Politik, die den Menschen etwas zutraut, die offen ist für neue Technologien und die Leistung belohnt. Unser Land braucht Aufbruch und Erneuerung! Eigeninitiative, neue Ideen und Leistungsbereitschaft müssen belohnt, bürokratische Vorgaben und Strukturen dagegen aufgebrochen werden.

 

 

Ralf Strehlau: Wie ist der Grundsatzprogramm-Prozess grundsätzlich organisiert? Und wie werden sich die CDU-Mitglieder einbringen können?

 

Carsten Linnemann: Es gibt zehn Fachkommissionen, die inhaltlich arbeiten. Daneben haben wir über verschiedene Regionalkonferenzen in Deutschland versucht, alle Mitglieder, die mobil sind, einzubinden. Allen anderen haben wir eine Mitgliederbefragung angeboten. Es haben knapp 70.000 mitgemacht. Jedes Mitglied kann sich bei uns über verschiedene inhaltliche Formate einbringen. Ende September müssen dann die Positionen fertig sein und Ende des Jahres das Programm. Und dann haben wir nochmal vier Monate Zeit, das Programm unter den Mitgliedern in Deutschland zu diskutieren, um es dann auf dem Bundesparteitag im Mai zu verabschieden. Mein Ziel ist es, auf einer Seite alle Grundsätze übersichtlich zu formulieren und auf einer weiteren Seite nochmal fünf bis zehn Punkte aufzuzählen, die uns von anderen Parteien konkret unterscheiden.

 

 

Ralf Strehlau: Wo ist der große Unterschied zum Grundsatzprogramm-Prozess 2006/2007?

 

Carsten Linnemann: 2006/2007 waren wir in der Regierung. Da nimmt man unweigerlich Rücksicht und ist vielleicht nicht ganz frei in seinem Handeln. Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir frei und müssen weder auf das Bundeskanzleramt Rücksicht nehmen noch auf einen Koalitionspartner und erst recht nicht auf den Zeitgeist. Jetzt stehen nur unsere Grundsätze im Mittelpunkt.

 

 

Ralf Strehlau: Können Sie schon sagen, auf welche zentrale inhaltliche Aussage und auf welche Leuchttürme das Programm zusteuern wird, oder ist das noch zu früh?

 

Carsten Linnemann: Es ist zu früh, aber ich glaube, im Kern geht es um einen Mentalitätswandel in Deutschland. Wir müssen rauskommen aus der Lethargie und reinkommen in einen Spirit namens einfach mal machen. Dass die Bedenkenträger und Bremser einfach mal aus dem Weg geräumt werden und dass diejenigen, die eine Idee haben, sie auch wirklich umsetzen können. Das wäre ein Narrativ, was ich mir wünschen würde. Ob es am Ende bei dem Prozess herauskommt, weiß ich nicht.

 

 

Ralf Strehlau: Wird das neue Grundsatzprogramm Antworten auf drängende Fragen wie den Fachkräftemangel finden? Wie ist der Ansatz der CDU?   

 

Carsten Linnemann: Der Arbeits- und Fachkräftemangel zählt zu den größten Herausforderungen der kommenden zehn Jahre. Wir stehen vor einer außergewöhnlichen Situation, und müssen deshalb außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen. Ein Vorschlag der CDU wird sein, das Potenzial der Silver Worker stärker zu heben. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, aber freiwillig gerne weiter arbeiten möchte, sollte sein Gehalt steuerfrei bekommen. Das wäre ein attraktiver Anreiz, länger zu arbeiten. Ich bin sicher, dass wir durch eine solche „Aktivrente“ mit einem Freibetrag perspektivisch hunderttausende Arbeitskräfte akquirieren.

 

 

Ralf Strehlau: Jetzt weg vom Grundsatzprogramm hin zum Consulting. Inwiefern können auch Führungskräfte im Consulting von Ihrem prozessualen Vorgehen in der CDU lernen?

 

Carsten Linnemann: Naja, der grundsätzliche Unterschied zum Consulting ist, dass in der Politik alles öffentlich gemacht wird. Eine Personalbesetzung beispielsweise spielt sich hinter den Kulissen ab. Oder auch ein Strategieprozess im Unternehmen. Aber bei uns ist alles öffentlich und deswegen ist es wichtig, dass Consulting und Politik sich viel mehr austauschen. Nur so können wir erreichen, dass man nicht aufeinander herabschaut, sondern Verständnis für die jeweils andere Situation hat und so auch voneinander lernt.

 

 

Ralf Strehlau: Und dann noch unsere Standardfrage. Haben Sie bereits Erfahrungen mit Consulting gemacht?

 

Carsten Linnemann: Ich habe einige Bekannte aus dem Consulting-Bereich. Der Austausch mit ihnen ist mir immer sehr wichtig. Auch mit dem BDU stehe ich seit Jahren im regen Austausch zu verschiedenen Themen und auch wir lernen regelmäßig voneinander.

 

 

Ralf Strehlau: Herr Linnemann, ich bedanke mich recht herzlich für das Gespräch.