Organisations- und Prozessmanagement

Kernkompetenzen glasklar von normalen Fähigkeiten unterscheiden

Wenn wir in strategischen Diskussionen mit unseren Klienten über Wachstumsfelder sind, kommen wir immer wieder auch auf Fähigkeiten, oder, wie es im betriebswirtschaftlichen Umfeld heißt, „Kompetenzen“ zu sprechen. Schnell fällt auch der Begriff „Kernkompetenzen“, dem dieser Beitrag gewidmet ist.

Bevor wir uns Gedanken über Kernkompetenzen machen können, müssen wir einige Punkte klarstellen:

 

  1. Der Begriff „Kernkompetenzen“ ist keinesfalls ein Modebegriff. Zwar ist immer wieder die Behauptung nachzulesen, dass man zuviel Zeit auf diese Thema verwende, weil „Kernkompetenzen“ nur eine Management(berater)mode seien. Dies ist falsch und wer dies behauptet, hat schlicht seine Hausaufgaben nicht gemacht, oder verfolgt eine andere Intention. Wachstum ist ohne die Kenntnis und den gezielten Ausbau der Kernkompetenzen wesentlich erschwert.
  2. Es ist nicht alles „Kern“, was als „Kern“ erscheint. Manches ist lediglich lieb gewonnen und wird deshalb zum „Kern“ erhoben. Es ist weniger „Kern“, als man gemeinhin meint. So meint manches Handelsunternehmen beispielsweise, dass seine Logistik eine Kernkompetenz sei. Mag dies auch noch so sein, worüber man durchaus bereits konstruktiv streiten könnte, ist die daraus folgende Implikation schließlich völlig abwegig, wenn sie lautet, dass man daher seine eigene Logistik betreiben müsse.
  3. Kompetenzen – und insbesondere Kernkompetenzen – haben nichts mit „Haben“, sondern etwas mit „Können“ zu tun. Wenn uns ein Großhandelsunternehmen mit knapp zwei Dutzend Niederlassungen in Deutschland in der strategischen Diskussion entgegnet, dass das dichte Niederlassungsnetz eine Kernkompetenz sei, ist dies falsch. Wenn die Niederlassungen abbrennen, hat das Unternehmen immer noch seine (Kern-)kompetenzen.
  4. Kompetenzen kommen von den beteiligten Mitarbeitern, deswegen ist es extrem wichtig, die individuell vorhandenen Fähigkeiten institutionell verfügbar zu machen. Die Materialisierung von vorhandenem immateriellen Wissen ist eine wesentliche Aufgabe der Führung. Nur wenn dies gut gelingt, ist es möglich sich robuster gegen den Ausfall von Know-how-Trägern durch Fluktuation oder krankheitsbedingten Ausfall zu versichern. Mit technischem „Wissensmanagement“ (das nun wirklich ein Modewort ist) ist es hier nicht getan.
  5. Kompetenzen und Kernkompetenzen sind nur relevant, wenn sie dazu führen, dass ein bestehender oder ein angestrebter Markt mit Wert und Nutzen versorgt werden kann. Auch die beste Ausprägung einer Fähigkeit ist sinnlos, wenn sie nicht oder nur bedingt der Wertschöpfung dient.

 

Dies vorweggeschickt ist hinsichtlich der Identifikation von Kernkompetenzen folgendes zu festzuhalten:

Kernkompetenzen zu kennen ist enorm wichtig. Auch der Unterschied zu „normalen“ Fähigkeiten ist wesentlich, damit eine gezielte Ressourcensteuerung erfolgen kann und die Aufmerksamkeit sich auf die relevanten Punkte richtet. Folgende Definition habe ich seinerzeit in meiner Dissertation aufgestellt und wir halten sie nach wie vor für valide und belastbar:

„Bei einer Fähigkeit (Kompetenz) eines Unternehmens handelt es sich dann um eine Kern­kompe­tenz, wenn diese Fähigkeit

  • vorwiegend durch das Unternehmen beeinflussbar und ausbaufähig ist,
  • das Unternehmen herausragend vom Wettbewerb abgrenzt,
  • sich auf Erfahrung und Wissen bezieht, die es dem Unter­nehmen ermög­licht, Aufgaben besser als Wettbe­werber lösen zu können,
  • dazu genutzt werden kann, Abnehmern einen wesentli­chen Nutzen zu bie­ten.“

 

Die Beeinflussbarkeit des Ausbaus einer Kompetenz ist erstes wichtiges Kriterium für eine Kernkompetenz, weil anderenfalls eine zu hohe Gefahr bestünde, dass Fremdeinfluss auf die erfolgskritischen Fähigkeiten stattfände. Aus diesem Grunde sollten Kernkompetenzen auch nie ausgelagert werden. Bleiben wir beim obigen Beispiel der Logistik des fiktiven Handelsunternehmens. Wenn dieses Handelsunternehmen also tatsächlich eine besondere Logistikkompetenz ausgebildet hätte, die einen Wettbewerbsvorteil schaffte, könnte es die operativen Aspekte dieser Kompetenz sehr wohl an einen Dritten auslagern, würde sich aber stets die Prozesshoheit sichern, da in dieser Prozesshoheit letztendlich die Kernkompetenz liegen würde, folgte man diesem Beispiel. Das Transportieren, Umschlagen, Lagern können andere sicher besser. Ansonsten wäre das fiktive Unternehmen in der falschen Branche.

 

Die herausragende Abgrenzung vom Wettbewerb als weitere notwendige Bedingung einer echten Kernkompetenz wurde weiter oben schon thematisiert. Wenn eine Fähigkeit herausragend ist, aber keine Abgrenzung vom Wettbewerb ermöglicht, mag es zwar eine herausragende Kompetenz sein, aber eine „Kernkompetenz“ ist sie nach unserem Verständnis dann nicht.

 

Kernkompetenzen können an unterschiedlichen Orten im Unternehmen vorhanden sein. Es lohnt sich also, nicht nur bei Personen oder Personengruppen, sondern auch in Arbeitsweisen oder niedergelegten Prozessen nach Kernkompetenzen zu suchen. Aus Sicht des Unternehmens ist es ganz klar eine Notwendigkeit, soviel Kern-Wissen zu sichern, wie möglich. Dem Unterschied zwischen „wichtig“ und „nicht wichtig“ kommt dabei eine erhebliche Bedeutung zu. Zu häufig wird jedwedes Wissen auf komplexe Art und Weise zu sichern versucht, um nur nichts zu verlieren, ohne dabei hinterfragt zu haben, ob die Sicherung besagten Wissens tatsächlich einen spürbaren Vorteil erbringt. Das Resultat ist bekannt: Wikis, die nicht genutzt werden, Ordner, die mit alten Prozessbeschreibungen gefüllt sind und Qualitätsmanagementsysteme, deren Inhalt Redundanzen und Fehlstellungen aufweist, um nur einige Beispiele zu nennen.

 

Die Kenntnis über Kompetenzen und die Herausfilterung der echten Kernkompetenzen ist von enormer Bedeutung, unabhängig davon, ob die bestehende Wertschöpfung gestärkt oder ein neuer Wertschöpfungsstrang aufgebaut werden soll. Das dies nicht im stillen Kämmerlein geschehen darf, sondern des selektiven Einbezugs der unternehmerischen Leistungsträger bedarf, liegt, nehme ich an, auf der Hand.