Autonomes Fahren: Erfolg ist auch abhängig vom Ergebnis der Wertediskussion
Selbstfahrende Fahrzeuge sind auf dem Vormarsch. Damit jedoch die Vision von mehrheitlich fahrerlosen Autos auf unseren Straßen verwirklicht werden kann, braucht es auch eine Grundsatzdebatte über das sich dadurch verändernde Wertesystem.
Mit dem autonomen Fahren eröffnet sich nicht nur Automobilherstellern und -lieferanten ein großes Marktpotenzial, sondern auch IT- und Telekommunikationsunternehmen. Die Telematik wird neue Funktionalitäten und Möglichkeiten erschaffen und damit tiefgreifende Veränderungen in den Mobilitätsökosystemen von heute bewirken.
Autonome Fahrzeuge erfordern jedoch auch eine Neubewertung unserer Vorstellungen von Freiheit, rein rationaler Entscheidungsfindung und Sicherheit.
Vorteile stehen möglichen Stolpersteinen gegenüber
Eine aktuelle Umfrage von BearingPoint zeigt, dass Verkehrsteilnehmer durchwegs einen hohen Nutzen durch das autonome Fahren erwarten. 62 Prozent der Befragten sehen hier Zeitersparnis durch eine verbesserte Routenführung als einen großen oder sehr großen Vorteil. Neben Zeitersparnis versprechen sich die Befragten auch weniger Staus und einen besseren Verkehrsfluss (61 Prozent), ein geringeres Unfallrisiko sowie höheren Fahrkomfort (jeweils je rund 60 Prozent) – und zwar nahezu unabhängig von Alter, Geschlecht, Bundesland oder dem vorrangigen Fahren im ländlichen bzw. städtischen Raum. Diese Resultate mögen doch den einen oder anderen Leser etwas erstaunen. Dabei erwarten die Umfrageteilnehmer durch autonomes Fahren nicht nur einen Nutzen für sich selbst, sondern auch für die Verkehrsteilnehmer in Deutschland insgesamt. Hier sehen rund 70 Prozent den größten Vorteil in einer besseren Mobilität für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung. Auf Platz zwei landete die Verbesserung der allgemeinen Verkehrssicherheit (63 Prozent), gefolgt von neuen Serviceangeboten durch vernetzte Verkehrsdaten (60 Prozent) und besserem Umweltschutz (58 Prozent).
Ohne Zweifel bringt das autonome Fahren zahlreiche Vorteile mit sich. Auf der anderen Seite verlieren wir eventuell auch Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Freiheit, einfach mal aufs Geratewohl loszufahren. Ins Auto springen und starten mit unbekanntem Ziel. Spontan einen Umweg machen, um auf dem Weg zum Supermarkt noch schnell bei einem Freund vorbeizuschauen. Langsam durch die alte Nachbarschaft fahren, wo man früher Fußball gespielt hat. Das alles geht auf den ersten Blick verloren, wenn wir einfach nur in unser Auto steigen und das Ziel eingeben. Das Wegfallen des „irrationalen“ Fahrens bzw. der reinen Fahrfreude wird dabei sehr wahrscheinlich auch weitreichende Implikationen für Autohersteller mit sich bringen, die genau in diesem Segment positioniert sind.
Oder stellen wir uns eine Situation vor, in der ein autonomes Fahrzeug auf der Straße fährt und plötzlich ein Tier auf die Fahrbahn springt. Das Auto hat nun die Wahl, entweder das Lebewesen zu überfahren oder alle Fahrzeuginsassen in Gefahr zu bringen. Welche rein rationale Entscheidung wird das Fahrzeug treffen? Wohl eine, die durch irgendwo hinterlegte Logik gesteuert wird.
Wenn man diesen Gedanken weiterführt: Wer wäre im Falle eines Unfalls haftbar? Rund 66 Prozent der Befragten in unserer Umfrage sehen darin ein großes bis sehr großes Problem.
Dann gibt es noch die großen Herausforderungen, wie den Datenschutz in einer telematisch orientierten Umgebung. Auch wenn dieser Aspekt von Menschen unter 30 deutlich weniger kritisch gesehen wird, so gibt es doch viele, die diesem Punkt sehr misstrauisch gegenüberstehen. Vor allem, wenn die erhobenen Daten auch im Detail aufzeigen, wo, wann und wie wir uns bewegen.
Neben der Datenschutzproblematik gibt es zudem noch den Punkt der Sicherheit, die mit der Kontrollaufgabe einhergeht. Wir müssen gewährleisten, dass die Systeme, die unsere Fahrzeuge steuern, sicher vor Angriffen von außen sind. Wie zum Beispiel in diesem YouTube-Video bereits vorgeführt wurde, gibt es Systeme, die einem Hackerangriff bislang nicht standhalten – nämlich Fahrzeuge, die über das Internet fremdgesteuert werden können. Wenn autonome Fahrzeuge auf die Straße kommen, müssen sie bestmöglich und gefühlt hundertprozentig vor Cyberrisiken geschützt sein. Jedoch findet man in der digitalen Welt bisher nur schwer etwas, das professionellen Hackern wirklich standhalten kann.
Last but not least ist auch das Thema Arbeitsplätze Teil der Wertediskussion. Denn Berufe, die auf einer nicht-autonomen Verkehrsinfrastruktur beruhen, wie z.B. Arbeitsplätze im Personen- und Güterverkehr werden durch das autonome Fahren hinfällig. Die Frage, die sich hier stellt, ist, inwiefern diese Berufe in andere Arbeitswelten transformiert werden können.
Ehe autonome Fahrzeuge über unsere Straßen rollen, liegt aus meiner Sicht also noch viel Denk- und Überzeugungsarbeit vor uns. Dabei werden uns Pilotversuche helfen, das Thema über die Zeit noch besser zu verstehen und die Vorteile des autonomen Fahrens richtig einzuordnen. In diesem Zusammenhang hat die kleine Stadt Sitten im Kanton Wallis in der Schweiz vor kurzem angekündigt, ab Frühjahr 2016 autonome Fahrten im öffentlichen Personenverkehr anzubieten. Hauptziel ist dabei, von den Nutzern Rückmeldungen und Anregungen zu erhalten, auf Basis derer das Angebot in diesem Bereich weiter geplant und umgesetzt werden kann.
Welche Werte und Themen sind im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren unverzichtbar?
- Freiheit
- Datenschutz
- Sicherheit
- Konnektivität
- Komfort
- Kontrolle
- Umweltfreundlichkeit
- Spaß
- Arbeitsplätze