Markttrends

Wachstum nach Corona

Es herrscht Unsicherheit: Nachdem sich die Konjunktur Jahre lang positiv entwickelt hat und nahezu ausnahmslos Erfolgsstorys auf Unternehmensseite geschrieben wurden, sorgte das Coronavirus im Jahr 2020 für ein gehöriges Chaos im deutschen Mittelstand. Dabei scheint es, als hätte die Pandemie für nahezu jedes Unternehmen ein eigenes Schicksal bereit. Während manche Betriebe Umsatzrekorde aufstellen, müssen andere Unternehmen und sogar ganze Branchen um ihre Existenz kämpfen.

Doch alle scheinen dabei das gleiche Motto zu verfolgen: Hauptsache überleben und die Pandemie irgendwie überstehen – schließlich weiß keiner wie es weitergeht. Doch nun das Positive: Auch diese Krise wird irgendwann vorbei sein, daher lohnt es sich schon jetzt den Blick in die Zukunft zu richten. Krisenzeiten sind Unternehmerzeiten und egal ob Corona-Profiteur oder Leidtragender – diese turbulente Zeit gilt es unternehmerisch zu nutzen. Und wenn man weiß wie, kann man durch ein strategisches Wachstumsmanagement die Krise nicht nur überleben, sondern als Gewinner hervorgehen.


Es ist verständlich, dass es gerade in der jetzigen Situation nicht leichtfällt, den Blick auf das Positive zu richten. Doch lohnt genau dies, da es eine Vielzahl an Chancen gibt, die gerade unternehmerisch orientierte Menschen jetzt ergreifen können: Der erste Shutdown hat zu einem wahren Digitalisierungsschub geführt. Neben Klopapier und Atemschutzmasken waren binnen Tage auch Webcams und Headsets ausverkauft. Unternehmen mussten die Datenzugänge erweitern und Serverkapazitäten ausbauen. Videoconferencing hat unseren Arbeitsalltag erobert.


Viele dieser Neuerungen werden sich auch nach Corona halten und sie schreien nach innovativen Lösungen – auch von traditionellen Unternehmen. Und wir können jetzt schon beobachten, wie sich hieraus weitere Trends entwickeln. Das ist die große Chance der bestehenden Unternehmen: sich selbst ganz ehrlich auf den Prüfstand zu stellen. Krisen sind die Chance, Themen die im normalen Geschäftsprozess als nur schwer realisierbar galten, jetzt umzusetzen: Wie soll das Unternehmen in Zukunft erfolgreich sein? Mit welchen Produkten, in welchen Märkten ist dies möglich? Wer sich solche Gedanken macht, hat schon den ersten Schritt in Richtung eines strategisch sinnvollen Wachstums gemacht. Wachstum um jeden Preis ist nicht erfolgsversprechend, vielmehr geht es darum, die Ressourcen möglichst effizient einzusetzen. Mitunter müssen die Wachstumsgrenzen auch eng gesetzt werden, um ein auf Dauer überlebensfähiges Unternehmen zu schaffen – und im Einzelfall kann es sogar sinnvoll sein, vorerst nicht zu wachsen, um sich nicht zu verzetteln. Denn: Groß bedeutet nicht unbedingt besser!

 

Wachstumsmanagement in vier Schritten

Gezielte Wachstumsplanung heißt: proaktives Agieren statt bloßen Reagierens. Hierzu ist ein systematisches Vorgehen in vier Schritten sinnvoll:

  • In einem ersten Schritt ist der Status Quo des Unternehmens zu analysieren.
  • Anschließend sind die Wachstumsziele des Unternehmens zu definieren. Das Festlegen der richtigen Wachstumsintensität setzt eine gute Branchenkenntnis und eine realistische Einschätzung dessen voraus, was machbar ist. Aber auch die persönlichen Vorstellungen des Unternehmers dürfen nicht vernachlässigt werden.
  • Im dritten und ausführlichsten Schritt wird anhand der Wachstumsstrategie festgelegt, womit – also mit welchen Produkten auf welchen Märkten – das Wachstum erfolgen soll. Neben der „externen“ bzw. marktseitigen Konkretisierung der Wachstumsstrategie ist der sich hieraus ergebende unternehmensinterne Handlungsbedarf zu bestimmen. Um der angestrebten Wachstumsstrategie die notwendige Schubkraft zu verleihen, kommt es auf die richtige Einstellung der unternehmensinternen Stellgrößen Organisation, Mitarbeiter und Management an. Adäquate und systematische Instrumente liefern die Entscheidungsgrundlage für die Unternehmenssteuerung. Da Wachstum üblicherweise auch mit zusätzlichem Kapitalbedarf verbunden ist, der insbesondere bei jungen Unternehmen nicht durch selbst generierte Finanzmittel gedeckt werden kann, sind zudem i. d. R. externe Finanzmittel zu erschließen.
  • Der in Schritt 3 konkretisierte Handlungsbedarf muss in ein Umsetzungskonzept mit konsistentem Maßnahmenplan und mit verbindlichen Terminen und Zuständigkeiten überführt werden. Das gewährleistet die tatsächliche Umsetzung der Wachstumspläne, die sonst im Tagesgeschäft schnell „versanden“ könnten.

 

Dazu im Einzelnen:

Bestandsaufnahme: Wo stehen wir heute?

Regelmäßige Standortbestimmungen – unter Umständen auch mit Hilfe externer Berater – sind wichtig, um Ansatzpunkte für zukünftiges Wachstum zu finden.
Wie geht es dem Unternehmen wirtschaftlich und finanziell? Welcher Leistungsbereich hat die höchste Umsatz- und Renditestärke? Wo werden die höchsten Kosten verursacht? Diese Fragen stehen am Anfang einer vernünftigen Wachstumsplanung, können aber gerade kleinere Unternehmen erstaunlich häufig nicht präzise beantworten. Hierzu ist eine ertragsorientierte Betrachtung der verschiedenen Leistungsbereiche erforderlich. Sofern ein Kostenrechnungssystem im Unternehmen etabliert ist, ist dies in der Regel auf Knopfdruck verfügbar. Ist dies nicht gegeben, ist es sinnvoll mit Hilfe von Kalkulationstools eine Annäherung zu erarbeiten, um im Anschluss eine Beurteilung der Ertragskraft einzelner Geschäftsfelder (vgl. Abb. 1) zu ermöglichen.

Zur umfassenden Analyse der Ertragskraft gehört auch eine Untersuchung der Kundenstruktur. Besteht unter Umständen eine zu große Abhängigkeit von einzelnen Kunden? Gibt es eine angemessene Streuung? Wo bestehen zusätzliche Umsatzpotenziale? Hier eignen sich die in Theorie und Praxis bekannten ABC-Analysen.
Darüber hinaus ist es wichtig auch den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu richten und eine Einschätzung der eigenen Positionierung im Markt und Wettbewerbsumfeld vorzunehmen. Hierzu nutzen wir in der Beratung – neben der klassischen SWOT-Analyse – ein Analysetool, welches mit Hilfe eines Skalensystems die Einschätzung der Attraktivität einzelner Märkte sowie die eigene relative Wettbewerbsposition ermöglicht. Dabei werden quantitative Faktoren, durch eine Punktevergabe (ähnlich eines Schulnotensystems) quantifizierbar gemacht (vgl. Abb.2).

 

 

Mithilfe einer Bilanzanalyse kann im nächsten Schritt die Vermögenssituation eines Betriebs richtig eingeschätzt werden und sinnvolle Verbesserungen für den nächsten Wachstumsschritt erarbeitet werden. Mit künftigen Lieferanten, Kunden und verschiedenen Kapitalgebern kann so besser verhandelt werden. Ebenfalls wichtig: Wer heute weiß, wie er auch im Bankgespräch seinen Betrieb optimal präsentiert und welche Voraussetzungen für ein gutes Rating relevant sind, der hat eine bessere Startposition bei der Wachstumsfinanzierung.

 

Wachstumsziele: Wo wollen wir hin?

Die Festlegung eines übergeordneten Ziels ist als Ausgangspunkt für das weitere Vorgehen von zentraler Bedeutung. Nur so können die weiteren Aktivitäten und Maßnahmen in die entsprechende Richtung gelenkt werden. Dieser Schritt legt die folgenden Überlegungen nahe: Zunächst ist klarzustellen, in welchem Ausmaß das Wachstum erfolgen soll. Diese Überlegung ist keine frei variierbare Größe, die nur von persönlichen Präferenzen abhängig ist. Vielmehr sind hier branchen- und unternehmensspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen, die erst im Anschluss mit den persönlichen Vorstellungen des Unternehmers abzugleichen sind.

 

Wachstumsintensität

Bereits aus der vorangegangenen Bestandsaufnahme können Indikatoren für die erforderliche Wachstumsintensität gewonnen werden. Welches Wachstum in einem ertragreichen Produktbereich ist notwendig, um den Rückzug aus einem weniger ertragreichen zu kompensieren? Wie viele Kunden müssen mit welchem Umsatz zusätzlich gewonnen werden, um das Krisenpotenzial infolge einer zu starken Abhängigkeit von einem dominanten Kunden abzufedern? Welcher Umsatz ist notwendig, damit sich Ersatzinvestitionen lohnen, bzw. in einem bestimmten Zeitfenster amortisieren? Inwieweit kann die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage des Unternehmens verbessert und damit eine höhere Bonität erreicht werden? In welcher Größenordnung sind eventuell notwendige Investitionen und damit verbundene Finanzierungen überhaupt möglich, ohne die Bilanzsituation des Unternehmens zu stark zu strapazieren?

Auch darüber hinaus ist Unternehmenswachstum keinesfalls immer nur eine „Wunschgröße“. In vielen Fällen ist ein bestimmtes Wachstum notwendig, da sich das Unternehmen nur mit einer bestimmten Größe auf Dauer am Markt halten kann. Abgesehen von eher kostenorientierten Überlegungen, wie zum Beispiel zur Größe der Absatzmengen, die benötigt werden, damit sich Investitionen in Produktionskapazitäten, Forschung und Entwicklung etc. amortisieren, muss unter Umständen auch marktseitig eine gewisse Größe demonstriert werden, damit man überhaupt als Teilnehmer ernst genommen und die Zufriedenheit des Kunden nicht aufs Spiel gesetzt wird. Als Anbieter von Schulungen und Fortbildungen sind beispielsweise Themen möglichst doppelt zu besetzen, um kurzfristig auf den Ausfall eines Mitarbeiters reagieren zu können. Auch auf Lieferantenseite sind Mindestabnahmemengen nicht unüblich, entweder, um überhaupt beliefert zu werden oder um in den Genuss attraktiverer Konditionen zu kommen.

Der Unternehmer sollte diese „unteren Grenzen“ des Wachstums in der Branche kennen. Gleiches gilt für eine obere Grenze, die mitunter auch vorhanden ist. Eine hohe Wachstumsintensität mit einer 20- bis 30-prozentigen Umsatzsteigerung pro Jahr ist nicht immer empfehlenswert. Die notwendigen Anpassungsmaßnahmen in der Organisation und im betrieblichen Ablauf können so erheblich sein, dass ein reibungsloses Funktionieren nicht mehr sichergestellt ist und Qualitätseinbußen unvermeidbar sind.

Außerdem muss die Wachstumsintensität die unternehmensspezifischen Restriktionen wie qualifizierte Mitarbeiter, Maschinen- und Gebäudekapazität und begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten berücksichtigen. Hier sollte man sich nicht durch zu ambitionierte Ziele „überheben“ und die Ausbaufähigkeit des derzeitigen unternehmerischen Handlungsrahmens realistisch einschätzen.


Bei der Festlegung der richtigen Wachstumsintensität stellt sich zudem die Frage, ob das Wachstum nur in einem Bereich stattfinden soll – ein solches Vorgehen ist natürlich riskanter, da es alles auf eine Karte gesetzt wird – oder diversifiziert, also in verschiedenen Leistungsbereichen. Die Verteilung des Wachstums auf mehrere Säulen hat den Vorteil, dass man nicht allein von der Entwicklung eines Marktes abhängig ist. Das diversifizierte Vorgehen fordert allerdings auch höhere Vorleistungen und birgt die Gefahr der Verzettelung. Um die Machbarkeit eines diversifizierten Wachstums realistisch einzuschätzen, muss das Spektrum der eigenen Kompetenzen („Was können wir?“) genau definiert und abgegrenzt werden. In einer hoch spezialisierten Marktwirtschaft kann nur der überleben, der seine Stärken kennt, nutzt und nicht nach dem „Wir machen alles“-Prinzip wirtschaftet. Reichen die vorhandenen Kompetenzen nicht aus, um die angestrebten Wachstumsziele zu erreichen, muss die Kompetenz- bzw. Leistungspalette neu justiert und vorsichtig erweitert werden. Wie bei allen größeren Vorhaben gilt es, das „Was wollen wir?“ mit dem „Was können wir?“ im Vorhinein abzugleichen und die Machbarkeit kritisch zu hinterfragen, um nicht erst zeitversetzt zu erkennen, dass man sich zu viel vorgenommen hat.

 

Persönliche Vorstellungen des Unternehmers

Auch die persönlichen Vorstellungen des Unternehmers spielen bei den Überlegungen zur richtigen Wachstumsintensität eine Rolle. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass sich die persönlichen Ziele des Unternehmers oftmals auf folgende Bereiche konzentrieren:

  • frei verfügbares Einkommen
  • persönlicher Zeitaufwand
  • eigener Arbeitsschwerpunkt im Tagesgeschäft


Neben den persönlichen Zielvorstellungen zum gewünschten Einkommen und der zeitlichen Inanspruchnahme spielt auch die Frage, wie die Potenziale des Unternehmers möglichst effizient im Unternehmen eingesetzt werden können, eine wichtige Rolle. Die Größe des Unternehmens sollte der Qualifikation des Unternehmers und seinen persönlichen Stärken entsprechen. Ist der Unternehmer fähig, Aufgaben zu delegieren und besitzt er eine Affinität zu strategischen Aufgaben oder handelt es sich eher um einen „Macher“, der sich in einem kleinen Team wohl fühlt, am liebsten operative Aufgaben bewältigt und in nahezu alle Geschehnisse im Unternehmen involviert sein möchte. Es gibt durchaus Unternehmer, die sich allen Wachstumsstrategien zum Trotz in einem 5-Mann-Betrieb wesentlich wohler fühlen als in einem 50-Personen-Unternehmen. Hier sollten die eigenen persönlichen Ziele und Neigungen reflektiert und priorisiert werden.

Das ist unter Umständen auch die große Chance für engagierte Nachfolgerinnen und Nachfolger: diese Herausforderungen eines Unternehmens für ein gesundes Wachstum zu nutzen, wenn der oder die bisherigen Unternehmer dies nicht mehr wollen oder können.


In einem nächsten Schritt geht es um die unternehmerischen Ziele des Unternehmers: Wo sieht er den Kern seiner unternehmerischen Tätigkeit in Zukunft? Viele Unternehmer haben Schwierigkeiten zu formulieren, was genau sie eigentlich „unternehmen“. Ein Unternehmen zu gründen und zu leiten ist nicht nur eine Art des Broterwerbs. Es sollte auch eine Vision vorhanden sein, nach der sich der Kurs des Unternehmens richtet – sonst besteht immer die Gefahr, dass es ziellos dahintreibt. Gerade für Unternehmen, die wachsen wollen oder müssen, ist die Frage nach der unternehmerischen Vision entscheidend.


Junge Unternehmer sollten sich noch einmal ihre ursprünglichen Vorstellungen, die sie vor der Unternehmensgründung gehabt haben, ins Gedächtnis rufen und ihren damaligen Business-Plan durchsehen. Vor diesem Hintergrund wird sich die Frage: „Was will ich wann mit meinem Unternehmen erreichen?“ am ehesten beantworten lassen.

 

Wachstumsstrategie: Wie machen wir das?

Wenn ein Unternehmen Potenzial für strategisches Wachstum hat, gibt es verschiedene Wege, dieses Ziel zu erreichen. Dabei gilt es die Frage zu beantworten auf welchen Märkten mit welchen Produkten Wachstum „am besten“, d. h. mit möglichst geringem Aufwand oder möglichst hohem Ertrag, erreicht werden kann. Hier sind 4 grundsätzliche strategische Alternativen zu unterscheiden, die in Abb. 3 dargestellt sind. Dabei ist zu beachten, dass für verschiedene Leistungs- bzw. Geschäftsfelder unterschiedliche Stoßrichtungen sinnvoll sein können. Bei der Auswahl der geeigneten strategischen Richtung sind sowohl die Erkenntnisse der Bestandsaufnahme als auch die persönlichen Vorstellungen des Unternehmers und das Wissen um die richtige Wachstumsintensität zu berücksichtigen.

 

Marktdurchdringung

Am häufigsten ist die verstärkte Ausnutzung von Marktpotenzialen auf dem vorhandenen Markt zu finden, um dadurch ein höheres Marktvolumen zu erreichen. Für ein nachhaltiges und spürbares Wachstum sind hier gezielte Aktivitäten und meist auch Investitionen notwendig. Diese Wachstumsstrategie geht zum einen mit der Verstärkung der Vertriebsaktivitäten bzw. der Erweiterung des bestehenden Vertriebssystems einher. Auch die bestehenden Distributionskanäle stehen auf dem Prüfstand. Macht es Sinn, etablierte Handelsunternehmen als Vertriebspartner zu gewinnen, was unter Umständen mit einem erheblichen Wachstumsschub einhergeht und entsprechend sorgfältig durchdacht werden muss? Passt dieser Distributionskanal zur angestrebten Positionierung oder geht damit ein Exklusivitätsverlust einher?
Der Wachstumsweg der Marktdurchdringung, bei der man sich auf bekanntem Terrain bewegt, ist naheliegend. Die Praxis zeigt allerdings, dass in vielen Branchen dieser Weg bereits ausgereizt und oftmals nicht von Erfolg gekrönt ist, da der bestehende Markt einfach seine Grenzen hat. Die Marktdurchdringung ist generell die Wachstumsstrategie mit dem geringsten Risiko – aber auch dem geringsten Potenzial.

 

Markterweiterung

Das Wachstum eines Unternehmens kann auch realisiert werden, indem aktuelle Produkte auf neuen Märkten angeboten werden. Beispielsweise könnte ein Unternehmen aufgrund stagnierender Zahlen in Nordeuropa sein Sortiment zukünftig auch auf dem osteuropäischen Markt vertreiben. Eine weitere Möglichkeit wäre die Ausdehnung der Leistung auf die Bearbeitung eines weiteren Kundensegments. Ein Technologie-Unternehmen, welches bisher mit einem innovativen Verfahren Bauteiloberflächen für die Luftfahrt behandelt hat, kann diese Leistung in andere Bereiche, wie die Automobil- oder Medizinbranche, übertragen.
Bei der „Markterweiterung“ werden neue Marktpotenziale erschlossen, d. h. die Markteilnehmer und die Gegebenheiten im neuen Markt sind unbekannt.


Besonders aufmerksam sind die potenziellen Kunden zu untersuchen. Entscheidend ist, ob die angebotenen Leistungen zu den Bedürfnissen der neuen Kunden passen? Lassen sich die Produkte wirklich ohne Modifikation transferieren? Wie viel Macht haben potenzielle Vertriebspartner? Welche Kunden mit Referenzwirkung verstärken die Akzeptanz der Leistungen in dem neuen Markt? Eng mit den Kundenbedürfnissen verknüpft ist die Frage nach möglichen Substituten, die bei den neuen Kunden als Ersatzleistungen akzeptiert werden und somit die Nachfrage nach den eigenen Leistungen beeinträchtigen.
Auch hinsichtlich der potenziellen Konkurrenten ist zu analysieren, wie der neue Markt strukturiert ist. Wie viele Wettbewerber gibt es und wie werden sie auf den Vorstoß eines neuen Anbieters regieren? Wie gut sind die Möglichkeiten, sich von den bestehenden Wettbewerbern durch die Einzigartigkeit der eigenen Leistung aus Kundensicht abzuheben?

Markteintrittsbarrieren, die die Gefahr durch neue Anbieter determinieren, spielen in diesem Kontext in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Vor dem Eintritt in einen neuen Markt ist zu überprüfen, inwieweit Hindernisse wie z. B. Patente, rechtliche Vorschriften, wie beispielsweise Ausbildungserfordernisse, vertragliche Kundenbindungen oder auch sprachliche Barrieren bestehen, die den eigenen Vorstoß in einen neuen Markt erschweren und ggf. unmöglich machen. Es ist jedoch auch schon im Vorhinein zu antizipieren, inwieweit der Markt für weitere Wettbewerber zugänglich und damit möglicherweise mit steigendem Konkurrenzdruck zu rechnen ist. Niedrige Markteintrittsbarrieren sind daher ambivalent und nicht nur vorteilhaft zu beurteilen.
Der Wachstumsweg der Markterweiterung birgt Wachstumspotenziale, die jedoch auch mit Risiken verbunden sind, da der Markt mit seinen Teilnehmern unbekannt ist und sich auch Entwicklungen nur sehr schwer beurteilen lassen. Daher ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dem neuen Markt unverzichtbar. Auch bietet es sich an, den Einstieg über die Kooperation mit einem marktkundigen, etablierten Anbieter zu suchen, um die Risiken zu reduzieren.

 

Produktentwicklung

Kennzeichnend für diese Wachstumspolitik ist, dass aktuellen Kunden zusätzliche Leistungen des Unternehmens angeboten werden. Der Erfolg dieser Strategie hängt davon ab, inwieweit bei den Kunden überhaupt derzeit oder zukünftig Bedarf besteht. Je besser die aktuellen Bedürfnisse eingeschätzt und zukünftige antizipiert werden können, desto geringer ist das Risiko, dass diese Wachstumsstrategie fehlschlägt.


Ein Problem der Wachstumsstrategie „Produktentwicklung“ liegt in der Vorfinanzierung der Umsätze aufgrund der teilweise langen Entwicklungszeiträume. Dies betrifft nicht nur Technologieprodukte, sondern im Wesentlichen jede neue Produkt- bzw. auch Dienstleistungsentwicklung. Bevor die Marktreife erzielt und der erste Euro Umsatz generiert werden kann, sind entsprechende Vorleistungen zu erbringen, die vorzufinanzieren sind. Ggf. ist auch damit zu rechnen, dass die Entwicklung fehlschlägt und die Marktreife nicht bzw. erheblich verzögert erreicht wird.


Ist die Marktreife erreicht, ist zum einen zu klären, ab wann das neue Produkt Gewinne abwirft und wie lange sich das neu entwickelte Produkt – ohne erneute Investitionen in Forschung und Entwicklung – am Markt halten kann. Auf Basis dieser Prognose muss überprüft werden, ob sich das Produkt in seiner Gesamtheit mit allen Entwicklungs-, Vertriebs- und Lagerkosten etc. rechnet oder nicht. Außerdem ist sicherzustellen, dass infolge der Angebotserweiterung nicht Umsätze von bestehenden Produkten wegbrechen. Bspw. kann beim Seminaranbieter infolge von reduzierten Budgets für Weiterbildung der Effekt eintreten, dass die bisherigen Seminarangebote weniger nachgefragt werden.



Die Wachstumsstrategie „Produktentwicklung“ bietet im Gegensatz zur Markterweiterung den Vorzug, dass man sich in bekanntem Marktterrain bewegt. Sie birgt allerdings zusätzliche Risiken dadurch, dass neue Leistungen erst mit entsprechendem Vorlauf entwickelt und dann vom Markt auch akzeptiert werden müssen. Hierzu ist eine eingehende Analyse der Kundenbedürfnisse unbedingt erforderlich. Zudem birgt dieser Wachstumspfad die Gefahr eines „Bauchladensortimentes“. Die Gefahr der Verzettelung darf nicht unterschätzt werden, es gilt die Fokussierung auf die Kernkompetenzen des Unternehmens.

 

Diversifikation

Die Diversifikation vereinigt die Produkt- mit der Marktentwicklung: Es werden neue Produkte auf einem neuen Markt eingeführt. Unter Umständen ist die Diversifikation die einzige Möglichkeit zu wachsen. Wenn die Potenziale im bestehenden Markt für das bestehende Leistungsangebot ausgeschöpft sind, sich ebenfalls keine Möglichkeiten zur Einführung zusätzlicher Leistungen im bestehenden Markt abzeichnen und die Marktentwicklung nur mit modifizierten, auf den neuen Markt angepassten Leistungen möglich ist, kann nur dieser Wachstumspfad eingeschlagen werden.
Die Strategie der Diversifizierung ist in doppelter Hinsicht mit Risiken behaftet: zum einen betritt das Unternehmen Neuland in Bezug auf den Markt und zum anderen muss es die Risiken aus der Neuentwicklung der angebotenen Leistungen meistern. Deshalb ist bei einer Diversifikation in der Regel ein sehr großer Informations- und Rechercheaufwand zu leisten, um die Lücken zu schließen. Um das doppelte Risiko abzufedern, ist es ratsam, möglichst ähnliche Leistungen in verwandten Märkten anzubieten, also die Strategie der konzentrischen Diversifikation zu verfolgen. Verallgemeinernd ist festzuhalten, dass die Diversifikation das größte Wachstumspotenzial verspricht, allerdings auch die risikoreichste Möglichkeit des Wachstums darstellt.

 

Umsetzung: Taktik der kleinen Schritte

Nach der Festlegung der passenden Wachstumsstrategie geht es um den unternehmensinternen Handlungsbedarf. Um eine Wachstumsstrategie wirkungsvoll und effizient zu realisieren, sind die Handlungsfelder Human Ressource, Organisation, Management und Controlling entsprechend zu justieren.


Während bei kleineren Betrieben der Unternehmer zumeist den Überblick über alle relevanten Entwicklungen und notwendigen Entscheidungen hat, wird dies mit zunehmender Größe und Komplexität immer schwieriger zu handhaben. Mit steigender Unternehmensgröße, die sich im Rahmen von Wachstumsstrategien ergibt, wird also eine Formalisierung, Strukturierung und teilweise Delegierung von Führungs- und Steuerungsaufgaben oftmals unabdingbar.

 

Dafür ist zunächst eine tragfähige Aufbauorganisation zu entwickeln, in der Aufgaben und Verantwortungsbereiche klar definiert sind, Vertretungsregelungen geschaffen sowie Entscheidungsbefugnisse und Berichtspflichten geregelt werden. Auf dieser Basis können auf jeder Hierarchieebene Ziele vereinbart werden, die zur Erreichung der angestrebten Wachstumsstrategie förderlich oder sogar notwendig sind. Diese Ziele sollten messbar, nachvollziehbar und von den jeweiligen Verantwortlichen auch direkt beeinflussbar sein. Basis hierfür bildet ein aussagekräftiges Controlling, das jedem Beteiligten sinnvolle und belastbare Kennzahlen zur Beurteilung des Grades der Zielerreichung liefert.

 

Darauf aufbauend kann dann ein System von Regelbesprechungen aufgesetzt werden, das einen regelmäßigen Auseinandersetzungsprozess mit den definierten Zielen, der Zielerreichung und den notwendigen Maßnahmen ermöglicht. Dieses System aus Regelbesprechungen kann von einfachen Abteilungsmeetings bis zur sog. Geschäftssteuerungssitzung der 1. und 2. Führungsebene reichen. Bei Letzterer wird die Entwicklung im Rahmen der Wachstumsstrategie fortlaufend überwacht und bei Bedarf gegengesteuert. Dazu sollte im Vorfeld eine Auseinandersetzung aller Beteiligten mit denen für sie relevanten Kennzahlen und Maßnahmen erfolgen, sodass im Rahmen dieser Sitzung eine Berichterstattung „Bottum-Up“ erfolgen kann. Bei Fehlentwicklungen sollte jeder Mitarbeiter nicht nur darüber berichten, sondern auch gleich Lösungsvorschläge und Maßnahmen parat haben, wie auf die Entwicklung am besten reagiert werden kann. Diese können dann in der Geschäftssteuerungssitzung diskutiert und verabschiedet werden. So kann ein hohes Maß an Effizienz erreicht werden, ohne sich in ausufernde Meetings zu verstricken. Ergebnis ist dann ein sich stetig entwickelnder Maßnahmenplan, in dem alle wesentlichen und bereichsübergreifende Maßnahmen (mit Zielen, Verantwortlichkeiten und Umsetzungszeiträumen) festgehalten werden und deren Umsetzung sowie Wirkung regelmäßig kontrolliert werden kann.


Der dritte Schritt ist die Ermittlung des Kapitalbedarfs, der sich ergibt, wenn die geplanten Maßnahmen umgesetzt werden. Anschließend sind Möglichkeiten zu finden, wie dieser Kapitalbedarf gedeckt werden kann.


Um alle diese komplexen Felder angemessen zu bearbeiten, sind sämtliche betriebliche – und menschliche – Faktoren in einem Unternehmen wichtig. Daher zählt die Taktik der kleinen Schritte: Die Festlegung von Teilzielen, die in einem überschaubaren Rahmen erfolgreich erreicht werden können, lässt die Motivation nicht abreißen. Deshalb ist es umso wichtiger, die ersten Schritte zur Umsetzung der Ziele möglichst innerhalb der ersten Tage nach Beschluss der Strategie zu realisieren. Je mehr Zeit von der Planung bis zur ersten Aktivität vergeht, desto eher schwindet die Wahrscheinlichkeit, dass die geplanten Schritte auch wirklich umgesetzt werden. Wenn jetzt neben der realistischen Planung auch noch Verfahrensalternativen eingeplant, Zwischenetappen identifiziert und Überinvestitionen an Zeit und Geld vermieden werden – dann steht einem erfolgreichen Wachstum nichts im Weg.