ERLESEN

Interview: Drei denkbare Szenarien in der Coronakrise

Die Corona-Pandemie hält die Weltwirtschaft in Atem. Darüber sprachen der UBS-Chefanlagestratege Deutschland Maximilian Kunkel (Chief Investment Office, UBS Global Wealth Management) und BDU-Präsident Ralf Strehlau.  

Ralf Strehlau: Welche Auswirkungen auf die Konjunktur kann die Corona-Pandemie in diesem und dem kommenden Jahr auf die Welt- und die deutsche Wirtschaft haben? Welche Szenarien – „Good Case“ bis „Worst Case“ – wären denkbar?

Maximilian Kunkel: Wir erleben zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte eine Situation, in der wir uns aus gesundheitspolitischen Gründen dazu entschieden haben, unsere wirtschaftliche Aktivität so stark wie möglich zu reduzieren. Entsprechend werden die kurzfristigen Folgen für die Welt- und deutsche Wirtschaft erheblich sein. Was die längerfristigen Auswirkungen betrifft, hängen diese von den Antworten auf zwei zentrale Fragen ab: a) Wie schnell kann sich die Wirtschaftsaktivität normalisieren? b) Wie gut können die fiskal- und geldpolitischen Unterstützungen einen Anstieg der Firmeninsolvenzen und der Arbeitslosigkeit verhindern? Wir sehen drei Szenarien:

In unserem negativen Szenario wird der Virusausbruch nur ungenügend eingedämmt, was zu einer L-förmigen Konjunkturentwicklung in diesem Jahr führt. Dabei steigt die Zahl der Neuinfektionen in Europa und den USA bis in den Mai / Juni hinein weiter, während in China ein erneutes Auftreten möglich ist.

In unserem Basisszenario wird die Zahl der neuen Fälle gegen Mitte April den Höhepunkt erreichen, sodass ab Mitte Mai die schärfsten Beschränkungen aufgehoben werden können und etwa im 4. Quartal eine U-förmige Erholung ermöglicht würde. Die Weltwirtschaft würde nach unserer heutigen Einschätzung in diesem Fall fürs Jahr 2020 um 0.5% real schrumpfen. 2021 würde sich das Wachstum wieder auf real 4.5% beschleunigen.

In einem positiven Szenario erreicht die Zahl der neuen Fälle in Europa und den USA Anfang April den Höchststand, sodass einige Maßnahmen ab Anfang Mai allmählich zurückgenommen werden können. Dies würde eine V-förmige Erholung des Wachstums im zweiten Halbjahr begünstigen.

 

Ralf Strehlau: Welche Länder/Regionen werden – weltweit gesehen – wirtschaftlich am stärksten betroffen sein?

Maximilian Kunkel: Der Virus breitet sich global aus. Die Folgen sind entsprechend weltweit zu spüren. Jedoch sind vor allem Länder mit weniger fiskal- und geldpolitischem Spielraum sowie einem ohnehin niedrigen Potenzialwachstum und schwachen Gesundheitssystemen besonders negativ betroffen.

 

Ralf Strehlau: Wie kann - trotz der enorm steigenden Staatsausgaben und der damit einhergehenden Verschuldung - die Stabilität des Euros sichergestellt werden?

Maximilian Kunkel: Zusätzlich zu der bereits anlaufenden erhöhten Unterstützung durch die EZB, könnte noch einiges mehr getan werden, um die derzeitige Krise zu überwinden und die Eurozone zusammenzuhalten.

Zum Beispiel könnten bereits bestehende Mechanismen genutzt werden. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) könnte für eine zentralisierte Finanzierung von virusbedingten Kosten der am härtesten getroffenen Länder eingesetzt werden. Dieser verfügt über Kreditkapazitäten von 410 Mrd. EUR, was 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungsunion entspricht. ESM Anleihen könnten von der EZB bei unzureichender Nachfrage anderer Marktteilnehmer gekauft werden.

Wenn die ESM-Finanzierung nicht ausreichen würde, könnte auch das Outright Monetary Transactions (OMT) Programm der EZB für Ankäufe von Staatsanleihen im Währungsgebiet eingesetzt werden. Dieses wurde 2012 eingeführt, aber noch nie genutzt.

 

Ralf Strehlau: Hat die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen getroffen, um die gravierendsten Einflüsse auf die Wirtschaft zu verhindern bzw. abzufedern? Was könnte darüber hinaus sinnvoll sein?

Maximilian Kunkel: Ja. Vor allem, dass die Bundesregierung sich in der derzeitigen Phase darauf fokussiert, die Auswirkungen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen für kleine und mittelständische Unternehmen und Arbeitnehmer abzufedern, ist richtig. Sobald die Eindämmungsmaßnahmen Erfolg zeigen, kann der Aufschwung durch zusätzliche nachfragestimulierende Akzente beschleunigt werden.

 

Ralf Strehlau: Wie viele Wochen bzw. Monate kann unsere Wirtschaft einen Lockdown ohne zu große Verwerfungen Ihrer Ansicht nach durchhalten? Wann muss aus wirtschaftlicher Sicht spätestens ein Wiederanfahren des wirtschaftlichen Lebens erfolgen?

Maximilian Kunkel: Das ist schwer pauschal zu sagen. Verwerfungen und eine Rezession in diesem Jahr wird es so oder so geben. Unter den derzeitigen Umständen kann sich die deutsche Wirtschaft aber noch ein paar Wochen aufrechterhalten ohne in eine langanhaltende Depression abzurutschen.

 

Ralf Strehlau: Welche Branchen trifft die Corona-Krise in Deutschland auch mittelfristig besonders? Und welche Branchen werden perspektivisch sogar profitieren?

Maximilian Kunkel: Tourismus und Luftfahrt sind besonders negativ betroffen. Branchen, die die Digitale Transformation – also das Speichern, Sichern und Nutzen von Daten sowie e-Commerce – vorantreiben, sollten profitieren.

 

Ralf Strehlau: Unternehmens- und Personalberater sind ja durchaus auch eine wichtige Kundenzielgruppe der Kreditinstitute: Haben Sie Empfehlungen für Anleger in diesen Krisenzeiten?

Maximilian Kunkel: Auch über diese Krise hinweg wird das Umfeld von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unsicherheiten geprägt sein. Anleger sollten den Fokus weiterhin auf ein sinnvoll diversifiziertes, robustes Portfolio, welches in einen klaren und langfristig orientierten Vermögensplan eingebettet ist, legen.

 

Ralf Strehlau: Sehr geehrter Herr Kunkel, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!

Zurück zur Übersicht