ERLESEN

Interview: Der Digitalisierungskampf in unserer Branche wird am Frontend gewonnen

Versicherungsunternehmen müssen die digitale Transformation vorantreiben und dürfen doch ihr klassisches Vertrauensgeschäft nicht aus den Augen verlieren. Der beste Kompass dabei ist der Kunde – und manchmal darf es auch externer Rat sein. Lesen Sie hier ein Gespräch zwischen Dr. Norbert Rollinger, CEO der R+V Versicherung, und BDU-Präsident Ralf Strehlau.

Ralf Strehlau: Die Versicherungsbranche stand lange in dem Ruf, dass sie die Digitalisierung verschlafen hat. Wo steht die Branche in der Veränderung Ihrer Meinung nach heute?

Norbert Rollinger: Gerade die Versicherungsbranche hat schon sehr früh EDV eingesetzt und ihre Prozesse weitreichend automatisiert. In digitalen Zeiten müssen wir uns stärker direkt mit dem Kunden vernetzen und unsere geschlossenen Host-basierten Systeme zum Beispiel für Self-Services öffnen. Die große Herausforderung besteht also darin, dass die IT-Architektur nicht mehr passt.

 

Ralf Strehlau: Also da besteht ein Fluch, früh auf IT gesetzt zu haben und das ist jetzt eher ein Hindernis für die Digitalisierung. Wie gehen Sie mit dem Ballast der alten IT-Systeme um?

Norbert Rollinger: Wir sind dabei, die Host-Architektur zu entkoppeln und das Frontend entsprechend zu gestalten. Da wir unsere IT ständig weiterentwickelt haben, müssen wir – anders als mancher Wettbewerber – die Systeme nicht vollständig erneuern. Die aktuelle Strategie ist, in die Systeme zu investieren und sie evolutionär weiterzuentwickeln.

 

Ralf Strehlau: Das ist natürlich ein Vorteil, wenn man eine IT der zwei Geschwindigkeiten betreiben kann. In anderen Branchen, wie zum Beispiel im E-Commerce, herrschen Echtzeitanforderungen und alle Frontend-Backend-Systeme müssen voll integriert sein. Wie wirken sich die Veränderungen denn auf das klassische Vertriebspartnermodell der R+V Versicherung aus?

Nobert Rollinger: Ich bin überzeugt, dass der Digitalisierungskampf in unserer Branche eher am Frontend als am Backend gewonnen wird. Es geht um Themen wie Gehaltskonto, Geldanlage und Altersvorsorge. Die Marken R+V Versicherung und Volks- und Raiffeisenbanken genießen in dieser Hinsicht hohes Vertrauen bei den Kunden. Wir verkaufen ihre sensiblen Daten nicht für Analysen an andere Unternehmen. In unserem Geschäft kommt es auch weniger auf die hippste App an. Die Kunden wollen ordentlich beraten werden und einen guten Versicherungsschutz haben. 

 

Ralf Strehlau: Das Vertrauen der Kunden ist eine wichtige Währung - da gebe ich Ihnen Recht. In der Digitalisierung sind Daten aber der Rohstoff für neue Geschäftsmodelle. Wie wollen Sie diese Gratwanderung meistern?

Norbert Rollinger: Unsere Auffassung ist, dass die Daten dem Kunden gehören. Wir nutzen sie nur mit seinem Einverständnis für unsere Unternehmenszwecke, um vielleicht neue Services anzubieten. Wir wägen ab, wie hoch der Nutzen für den Kunden ist, wenn er seine Daten preisgibt und verzichten auf Angebote, die das Verhältnis nicht wahren. 

 

Ralf Strehlau: In einigen Branchen haben sich die großen Plattformen mit einem breiten Kundenzugang, wie zum Beispiel Amazon, zwischen Anbieter und ihre Kunden gedrängt. Sehen Sie dieses Risiko auch für die Versicherer?

Norbert Rollinger: Ja, dieses Risiko sehen wir durchaus. Noch ist es aber nicht soweit, dass man Versicherungen dort kaufen kann. Eine Ausnahme bilden KfZ-Versicherungen. Weil die Kunden sie haben müssen, um Auto zu fahren, ist die Motivation groß, selbst nach dem preiswertesten Angebot im Internet zu suchen.

Alle anderen Versicherungen sind ein Low-Intererest-Produkt für den Kunden und für Wettbewerber. Die Branche ist stark reguliert. Man braucht viel Geld und Geduld und muss Aufwand betreiben, um die Auflagen von Bafin und EZB zu erfüllen. Wir genießen also noch eine Zeitlang „Welpenschutz“ und nutzen diesen, um die notwendige Transformation nach vorne zu bringen.

 

Ralf Strehlau: Andere Branchen hatten diesen regulatorischen Schutz nicht. Wäre nicht die logische Antwort, Ihren genossenschaftlichen Verbund als Marktplatz stärker auszubauen.

Norbert Rollinger: Richtig, das ist eine wichtige Kundenschnittstelle und daran arbeiten wir. Es gibt eine Vielzahl von Aktivitäten mit dem Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken, mit den Verbundunternehmen und mit den Banken selbst. Wir müssen andere Formen der Zusammenarbeit finden, nicht nur im eigenen Unternehmen sondern im gesamten Verbund. Mehr Kooperation und siloübergreifendes Denken sind gefragt und das muss erst mal geübt werden.

 

Ralf Strehlau: Sie sprechen den richtigen Punkt an. Reine organisatorische Veränderungen reichen nicht aus. Zentrale Themen in der Digitalisierung sind agile Zusammenarbeit, Fehlertoleranz und Innovation. Damit kommen wir zum schwierigsten Teil - Menschen in anderes Handeln zu bringen. Wie gehen Sie bei R+V um mit dem Faktor Mensch?

Norbert Rollinger: Das emotionale Kultur- und Change-Element ist tatsächlich der schwierigste Teil unserer Strategie und wir haben eine ganze Reihe von Aktivitäten dafür entwickelt. Dass wir ein wachsendes Unternehmen sind, schafft Spielräume, die Transformation über natürliche Fluktuation voranzutreiben. Dabei verändern wir laufend angestammte Mitarbeiterprofile und bauen neue auf. Zu unserer Unternehmenskultur gehört es, die Mitarbeiter mitzunehmen. Das sorgt für Motivation und dafür, dass die Angst vor der Zukunft bei uns nicht so groß ist wie in anderen Unternehmen.

 

Ralf Strehlau: Werte und Unternehmenskultur in der Digitalisierung zu verändern, ist ein sehr anspruchsvolles Vorhaben. Stehen Veränderungen wie diese nicht im Widerspruch zur Kontinuität, die bei R+V gepflegt wird. Wie überzeugen Sie Ihre Mitarbeiter von den notwendigen Veränderungen in der Wertekultur?

Norbert Rollinger: Werte wie Respekt vor den Mitarbeitern und ein gutes Miteinander sind zeitlos. Was man ändern muss, sind Arbeits-und Verhaltensweisen. Wenn die Kunden eine schnellere Interaktion erwarten, müssen die Möglichkeiten der neuen Technologien genutzt werden. Andere Arbeits- und Verhaltensweisen müssen allerdings gelernt und trainiert werden und dabei unterstützen wir unsere Mitarbeiter.

 

Ralf Strehlau: Der CEO übernimmt eine wichtige Vorbildfunktion bei Veränderungsprozessen. Das war auch bei Ihnen so, als Sie das Amt übernommen haben. Wie haben Sie bei R+V den Veränderungsprozess eingeleitet und wo haben Sie Ihre wichtigsten Akzente gesetzt?

Norbert Rollinger:  Wir haben im Vorstand die Strategie unter Einbindung von 300 Mitarbeitern und Führungskräften sowie externem Know-how entwickelt. Im Fokus stand die Frage, wo wir stehen und wie wir das Unternehmen in den nächsten Jahren zukunftssicher machen. Dass wir Ziele und Vorgehensweise gemeinsam festgelegt haben, schweißt das Unternehmen zusammen und wir befinden uns schon mitten in der Umsetzung.

 

Ralf Strehlau: Sie spielen also stark den Teamgedanken aus, haben sich als Person aber auch an die Spitze des Veränderungsprozesses gestellt? Der CEO ist Vorbild und Treiber bei Veränderungsprozessen.

Norbert Rollinger: Ja, nicht nur die 15.000 Mitarbeiter müssen bereit sein, etwas zu verändern, sondern auch die Unternehmensspitze. Der CEO muss in seiner Rolle glaubwürdig sein. Bei R+V testen wir neue Formen der Interaktion und Kommunikation zwischen den Mitarbeitern und dem Vorstand. Auch in der Zusammenarbeit der einzelnen Ressorts auf Vorstandsebene haben wir Veränderungen eingeführt.

 

Ralf Strehlau: Sie erwähnten eben, dass Sie bei R+V auch externen Rat einbeziehen. Da habe ich noch ein paar Fragen an Sie als ehemaligen Unternehmensberater, der auf die Unternehmensseite gewechselt ist. Was sind die typischen Anlässe für den Beratereinsatz bei R+V und welche Rollen spielen Berater bei Ihnen?

Norbert Rollinger: Wir setzen Berater sehr gezielt ein. Bei den anstehenden massiven Veränderungen brauchen wir aber die Unterstützung von außen, weil wir sie aus eigener Kraft nicht vorantreiben könnten. Die häufigsten Gründe dafür sind fehlendes internes Wissen, geplante Kostensenkungen oder firmenpolitische Angelegenheiten. Bei Themen von strategischer Bedeutung kaufen wir Marktsicht oder Analysen hinzu, besonders, wenn wir mit unseren eigenen Einschätzungen weit auseinander liegen.

 

Ralf Strehlau: Die Kernrollen des Beraters sind also Zulieferer von externem Know-how, neutraler Kostenreduzierer und Treiber von Veränderungen?

Norbert Rollinger: Genau. Als großes Unternehmen setzen wir Berater über die ganze Bandbreite ein, also auch Personalberater, wenn wir Stellen zu besetzen haben. Ich würde noch Ressourcenersatz ergänzen, vor allem in der IT. Das alles fällt bei uns unter den Oberbegriff Beratung.

 

Ralf Strehlau: Beim BDU sprechen wir bei Zeitarbeit oder Bodyleasing nicht von klassischer Beratung. Manchmal verschwimmen die Grenzen, zum Beispiel beim Einkauf von Projektmanagern. Wo sehen Sie denn die Grenzen beim Einsatz von Beratern?

Norbert Rollinger: Ein Berater ist immer nur auf Zeit im Unternehmen und nicht als Dauer-Coach für den Vorstand. 

 

Ralf Strehlau: Gibt es bei der Auftragsvergabe Automatismen, was die Auswahl des Beratungsunternehmens betrifft?

Norbert Rollinger: Nein, es werden keine Beratungsunternehmen favorisiert. Unser Einkauf wacht darüber, dass es kein „Maverick-Buying“ bei Beratungsleistungen gibt und wir beschäftigen keine Haus- und Hofberater über Jahre hinweg.

 

Ralf Strehlau: Das ist auch unsere Philosophie im Verband. Ein Berater, der zum festen Bestandteil des Unternehmens wird, verliert seine Unabhängigkeit und seinen Mehrwert.

Norbert Rollinger: Ein Berater darf kein Managementersatz sein. Ich verstehe den Vorstand als den Kopf der strategischen Veränderung. 

 

Ralf Strehlau: Wenn Sie mit Ihrer aktiven Zeit als Berater vergleichen - was hat sich in der Beraterbranche verändert? Ich stelle fest, dass man von einer Vor- oder Warmlaufzeit in Beratungsprojekten kaum noch sprechen kann. Der Berater muss kommen und gleich 100 Prozent Leistung bringen.

Norbert Rollinger: Ja, die Branche hat sich sehr verändert. Die Erwartungen der Unternehmen an Berater sind insgesamt gewachsen. Die Spezialisierung ist stärker und die Studien werden kürzer und fokussierter. Darüber hinaus ist der Wettbewerb auf dem Beratungsmarkt größer geworden.

 

Ralf Strehlau: Sie sind direkt nach dem Examen in die Beratung eingestiegen. Würden Sie Berufseinsteigern diesen Weg empfehlen?

Norbert Rollinger: Das kann man nicht pauschal beantworten. Für mich persönlich war das gut, um erst einmal Erfahrungen mit verschiedenen Branchen zu sammeln und auch, um die Systematik zu lernen, sich mit Unternehmensproblemen auseinanderzusetzen. Ich bin ein Beratungsfreund und würde das persönlich wieder so machen.

 

Ralf Strehlau: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Rollinger

Zurück zur Übersicht