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Interview: Das wirtschaftspolitische Momentum der Krise für Veränderungen nutzen

Welche Maßnahmen helfen der deutschen Wirtschaft, um sich von der Coronakrise zu erholen und welche nicht? Wie ist das Konjunkturpaket der Bundesregierung zu bewerten? Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), im Gespräch mit BDU-Präsident Ralf Strehlau

Ralf Strehlau: Die Corona-Pandemie beschäftigt uns mit ihren Auswirkungen trotz der Lockerungsbemühungen weiterhin intensiv. Die Wirtschaft tut sich schwer, wieder Fahrt aufzunehmen. Wie heftig wird die Rezession ausfallen und halten Sie eine schnelle und kräftige Erholung für möglich?

Prof. Vöpel: Die wirtschaftlichen Verwerfungen werden auf jeden Fall länger nachwirken, denn die globalen Absatzmärkte und Wertschöpfungsketten bleiben gestört, selbst dann, wenn es keine ausgeprägte zweite Infektionswelle geben sollte. Gerade für ein so exportorientiertes und international verflochtenes Land wie Deutschland gilt: Die eigene wirtschaftliche Erholung ist ohne eine Erholung der Weltwirtschaft nicht denkbar. In der Binnenwirtschaft werden sich Konsum und Investitionen ebenfalls nur langsam erholen, weil die Unsicherheit hoch bleibt. Für dieses Jahr müssen wir in Deutschland mit mindestens minus fünf Prozent rechnen, vielleicht werden es sogar minus zehn. Ein schnelles V, also eine schnelle Erholung ist wenig wahrscheinlich, eher wird es ein U, also eine schleppende Erholung, bei einer zweiten Welle könnte es zu einem L kommen, das würde bedeuten, wir kommen erstmal nicht wieder auf das Vorkrisenniveau.

 

Ralf Strehlau: Die Bundesregierung hat neue Corona-Hilfen und ein Konjunkturpaket verabschiedet. Sind Sie mit den beschlossenen Maßnahmen zufrieden und was fehlt Ihnen ganz maßgeblich?

Prof. Vöpel: Im Wesentlichen ja, im Detail lässt sich einiges anmerken. Die grundsätzliche Idee ist ja, die aus dem Tritt gekommene Wirtschaft nicht nur zu stabilisieren, sondern wieder anzuschieben, denn nach dem Angebotsschock durch den shutdown drohen nun hartnäckige, sich selbst verstärkende negative Nachfrageschocks. Ein klassisches Konjunkturpaket wäre dafür nicht genug gewesen, denn es würde bestehende Strukturen lediglich konservieren. Neben der notwendigen Stabilisierung müssen Zuversicht und Konjunkturoptimismus zurückkehren. Wir wissen heute bereits, dass die Krise nicht nur konjunkturelle, sondern vor allem auch strukturelle Folgen haben wird. Es musste also auch um ein Investitionsprogramm gehen, das auf Modernisierung und Zukunftsfähigkeit ausgerichtet ist und neue Wachstumsfelder erschließt. Dafür wird es jedoch ganz wesentlich auch der unternehmerischen Kräfte bedürfen. Dieser Aspekt fehlt mir. Eine stärkere Entbürokratisierung und steuerliche Entlastung wären sicherlich wichtig gewesen, denn wir sprechen ja schon länger über die Bedeutung der Gründerkultur für die anstehenden Transformationsprozesse. Und gerade Risikokapital für Start-ups wird es nach der Krise wohl deutlich weniger geben.

 

Ralf Strehlau: Nach den kleineren Firmen sollen nun auch größere Mittelständler mit elf bis 249 Mitarbeitern nicht rückzahlbare Soforthilfen beantragen können. Stimmt die politisch gewollte Stoßrichtung und lässt sich eine Pleitewelle allein durch den Einsatz von großen Geldsummen verhindern?

Prof. Vöpel: Die Summen klingen erstmal beeindruckend, und sicherlich ist es richtig, massiv Liquiditätshilfen zur Überbrückung bereitzustellen. Denn man darf nicht vergessen, dass viele Unternehmen auf behördliche Anordnung schließen mussten, also unverschuldet in die Krise gekommen sind und eigentlich gesund waren. Tatsächlich halte ich auf Ebene der Instrumente die Pakete für unausgereift, zum Teil nicht für zielgerichtet. Mitnahmeeffekte, hohe Kreditlasten und Abhängigkeiten werden vielfach die Folge sein, die die Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt lange belasten werden und das Potenzial für Folgekrisen haben, etwa Firmeninsolvenzen und nachgelagert Staatsschulden- und Bankenkrisen.

 

Ralf Strehlau: Sind die steuerlichen Erleichterungen durch die reduzierte Mehrwertsteuer für mehr Kaufanreize ausreichend? Welche Maßnahmen im Konjunkturpaket haben hier nach Ihrer Einschätzung den größten positiven Effekt?

Prof. Vöpel: Die Entlastung über die Mehrwertsteuersenkung beträgt immerhin 20 Milliarden Euro. Die Frage ist: Wo landen die? Abhängig vom Wettbewerbsgrad der Märkte werden die Steuersenkungen an die Konsumenten weitergegeben oder es erhöht sich die Marge für die Unternehmen. Beides ist erstmal nicht so schlecht. Den größten unmittelbar liquiditätswirksamen Effekt könnten die Zusammenlegung der beiden Steuerjahre 2019 und 2020 und die rückwirkende Bildung von Rückstellungen haben. Auch die Senkung der Strompreise wirkt entlastend. Das ist alles richtig, wird aber vermutlich nicht genug sein, um die Investitionsneigung der Unternehmen nach der Krise wieder zu erhöhen. Die aber brauchen wir, denn wir standen ja schon vor Corona vor großen Umbrüchen und Transformationsprozessen, vor allem der Digitalisierung und der Klimaneutralität. An dieser Stelle dürfen wir durch Corona nicht zurückgeworfen werden.

 

Ralf Strehlau: Wie kann die Bundesregierung mittelfristig die schwarze Null wieder erreichen? Führt an Steuererhöhungen kein Weg vorbei? Welche würden Sie vorschlagen?

Prof. Vöpel: Steuererhöhungen wären der komplett falsche Weg. Ebenso wie staatlich gegen die Krise anzusparen. Das Gegenteil wäre notwendig. Die gestiegenen Staatsschulden lassen sich angesichts der sehr niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt sehr langfristig zu guten Konditionen refinanzieren, ohne dass dadurch eine gefährliche Schuldendynamik droht. Und man muss sich nichts vormachen: Die Zentralbanken helfen natürlich dabei, die erforderliche Liquidität zu guten Bedingungen bereitzustellen. Das ist auch richtig, denn die realen Kosten der Krise tragen wir ja durch den Verzicht auf Produktion und Konsum heute. Aber die womöglich deutlich geringeren Investitionen belasten zukünftige Generationen in dem Vermögen, zu produzieren und zu konsumieren. Die intergenerativen Umverteilungseffekte der heutigen Staatsschulden sind daher eher gering. Trotzdem gilt, dass eine Rückkehr zu nachhaltiger Finanzpolitik erfolgen muss. Eine gute Begründung für Mehrausgaben findet sich in der Politik sonst immer.

 

Ralf Strehlau: Die von vielen erwartete Kaufpreisprämie für alle Neuwagen ist nun nicht gekommen. Eine gute Entscheidung oder erleben wir gerade eine erhebliche Schwächung für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Prof. Vöpel: Wenn Menschen anfangen, weniger zu konsumieren, fangen sie typischerweise bei den langlebigen Konsumgütern wie eben Autos an. Das ist der Grund, warum die Autoindustrie immer sehr stark von Krisen betroffen ist. Jetzt Kaufanreize zu geben, verlagert das Problem nur nach hinten. Außerdem konserviert es Geschäftsmodelle und Technologien, von denen wir heute wissen, dass ihnen nicht die Zukunft gehören wird. Aber natürlich hängen an der Automobilindustrie viele Arbeitsplätze. Sie mutwillig kaputt zu reden, nützt niemandem. Die Kaufprämie für Elektroautos wird also weitgehend abfließen und ist insoweit als konjunkturpolitisches Instrument fragwürdig. Gar keine Kaufprämien zu geben, wäre besser gewesen. Gleichwohl ist es richtig, dem Lobbyismus von früher eine Absage zu erteilen, der wieder in eine staatliche Übernahme von Risiken und Staatswirtschaft führen würde. Also gilt auch und besonders hier für die Automobilwirtschaft: die konjunkturpolitischen Instrumente müssen sich mit industriepolitischen und strukturellen Anreizen verbinden, damit so der Sprung in die Zukunft gelingt und nicht weiter der aufgeschobene Wandel verschleppt wird. Jetzt ist der Moment, aus der Restrukturierung zu Strategien aus der Krise zu kommen.

 

Ralf Strehlau: Bietet die aktuelle Situation nicht auch deutliche Chancen gerade für die deutsche Wirtschaft, um mit gezielten Investitionspaketen in Klimaschutz und Digitalisierung den Standort Deutschland voranzubringen? Reichen die Maßnahmen im Konjunkturpaket hierfür aus?

Prof. Vöpel: Absolut. Genau darum geht es: Das wirtschaftspolitische Momentum der Krise und der mentalen Bereitschaft zum Umdenken, das Loslassen vom Status quo für Veränderungen zu nutzen. Das ist aber nicht trivial, sondern erfordert das kluge Zusammenspiel mehrerer Instrumente. Die beiden wichtigsten dabei Punkte sind: Erstens durch öffentliche Maßnahmen privatwirtschaftliche Investitionen auszulösen. Marktwirtschaft bleibt als Entdeckungsverfahren für neue Lösungen sehr wichtig im Wandel. Wer nur nach dem Staat ruft, gibt sich einer dirigistischen Illusion hin. Zweitens jetzt nicht nur kurzfristige Strohfeuer zu entfachen und Altes zu schützen, sondern glaubwürdige längerfristige Anreize zu geben, um endlich in Digitalisierung und eine klimafreundliche Industrie zu investieren. Die Politik darf jetzt nicht sagen, dass sie ja mit dem Konjunkturpaket alles auf den Weg gebracht hätte. Natürlich reicht das nicht aus. Und schon gar nicht wird nur viel Geld viel nützen. Nun entscheiden kluge Ideen und tragfähige Konzepte über den Transformationspfad. Ein Anfang ist gemacht, mehr aber nicht.

 

Ralf Strehlau: In diesem Zusammenhang: Brauchen wir in Deutschland im Hinblick auf die riesigen Herausforderungen der kommenden Jahre eine explizite Industriepolitik? Welche Rolle kann und sollte die EU dabei spielen?

Prof. Vöpel: Zweifellos wird sich auch die geopolitische Frage nach der Krise verstärkt stellen. Schon vorher waren ja Re-Nationalisierung und De-Globalisierung wichtige Themen. Nun könnten Protektionismus und Autarkie noch höher die Agenda hochklettern, denn viele Volkswirtschaften werden zunächst mal ihre eigenen Arbeitsplätze und Branchen schützen wollen. Europa muss jetzt imstande sein, eigene gemeinsame Interessen zu formulieren und dafür technologische und politische Strategien zu entwickeln. Natürlich schließt das eine eigene Industriepolitik ein. Dafür muss aber Europa jetzt den nächsten Schritt gehen. Dabei geht es nur vordergründig um die Frage, ob wir gemeinsame Schulden machen dürfen. Tatsächlich geht es um die Frage, durch welche Themen und Ideen Europa ökonomisch und politisch stärker werden kann. Gerade im Bereich der Digitalisierung haben wir doch gesehen, wie abhängig wir von nicht-europäischen Plattformen sind.

 

Ralf Strehlau: Sehr geehrter Herr Professor Vöpel, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!

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